Frage: Herr Bischof, Kirchen- und Islamvertreter aus Afrika reden oft gegen den Begriff „religiöser Konflikte“ an, etwa in Nigeria oder im Sudan. Wie verhält es sich in der Zentralafrikanischen Republik? Auch da wird stets von der „muslimischen Seleka-Miliz“ und der „christlichen Anti-Balaka“ berichtet.
Marzinkowski: Das ist ein totaler Unsinn. Der Erzbischof der Hauptstadt Bangui war neulich gemeinsam mit einem befreundeten Imam in Deutschland, um den Aachener Friedenspreis entgegenzunehmen. Und er war hinterher richtig böse, weil ihm immer wieder dieselbe Frage gestellt wurde. Dieser vermeintliche Religionskonflikt ist eine Erfindung von hier.
Frage: Was ist also der Grund für die wieder aufflammende Gewalt in der Hauptstadt?
Marzinkowski: Erst mal geht es um Elend und Benachteiligung. Die meisten Menschen in Zentralafrika sind jung, ohne Bildung. Sie haben überhaupt keine Chancen. Wenn sie sich dann benachteiligt fühlen, und sei es von der Regierung oder bei einer Wahl, kann der Zorn irgendwo losbrechen. In diesen regionalen Milizen, die angeblich „muslimisch“ oder „christlich“ sind, kommen Verzweifelte zusammen, die sonst wenig verbindet. Schauen Sie sich doch die Pegida-Leute in unserem mehrheitlich christlichen Deutschland an. Sind das etwa „christliche Demonstranten“?
Frage: Das heißt, Sie sehen eher strukturelle Armut, akute Verzweiflung und die ethnische Herkunft hinter den Zusammenstößen.
Marzinkowski: Die tieferen Wurzeln der Konflikte sind ohne ein Bewusstsein für die Geschichte nicht zu verstehen. Die Kolonialmacht Frankreich hat in Äquatorialafrika ohne Rücksicht auf Ethnien agiert. Als sie Ende der 50er Jahre abtreten musste, sind Staaten ohne Nation entstanden. Viele Völker leben heute in einem Land zusammen, ohne dass sie sich überhaupt als eine Nation verstehen würden. Und wenn man eh chancenlos ist, dann fühlt man sich leicht von den diffusen anderen übervorteilt. Man muss nicht jede Ethnie dort kennen – aber man muss um die Geschichte wissen, um urteilen zu können.
Frage: Sie sprechen von einer historischen Verantwortung Europas.