Die Friedensstifter
Zentralafrika ‐ Seit Ende 2012 wird die Zentralafrikanische Republik von blutigen Konflikten erschüttert. Für die Gründung einer interreligiösen Friedensinitiative werden Erzbischof Dieudonne Nzapalainga und Imam Oumur Kobine Layama heute mit dem Aachener Friedenspreis ausgezeichnet. Im Interview sprechen die Preisträger über die Ursachen des Konflikts und das Miteinander der Religionen.
Aktualisiert: 15.11.2022
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Seit Ende 2012 wird die Zentralafrikanische Republik immer wieder von blutigen Konflikten erschüttert. Für die Gründung einer interreligiösen Friedensinitiative werden der Erzbischof der Diözese Bangui, Dieudonne Nzapalainga, und sein muslimischer Partner Imam Oumur Kobine Layama heute mit dem Aachener Friedenspreis ausgezeichnet. Im Interview sprechen die beiden Preisträger über die Ursachen des Konflikts und das Miteinander der Religionen.
Frage: Die Medien Europas haben den Konflikt in Ihrem Land oft als Konflikt zwischen Christen und Muslimen dargestellt. Sie beide haben dem oft widersprochen. Was sind die Ursachen wenn es nicht interreligiöse sind?
Nzapalainga: Es war keine interreligiöse Konfrontation. Warum? Als die Rebellen ihren Aufstand begannen, wurde eben nicht über den Koran oder die Bibel gesprochen. Und es war kein Imam oder Priester oder Pfarrer an der Spitze des Aufstandes, sondern Soldaten und Politiker, denen es um Macht und Geld geht. Sie haben die Religion manipuliert. Sie haben sie instrumentalisiert um ihrer eigenen persönlichen Interessen willen.
Dazu haben wir „Nein“ gesagt. Als wir gesehen haben, dass die Muslime Christen umbrachten, haben wir uns zusammengetan, um das klarzumachen. Denn die Geschichte unseres Landes ist vielmehr reich an Erfahrungen des friedlichen, harmonischen Zusammenlebens. So sind wir schon fünf Tage nach dem Beginn des Konflikts gemeinsam als religiöse Führer an die Öffentlichkeit gegangen um diese falsche Behauptung zurückzuweisen, dass es ein interreligiöser Konflikt ist. Und wir sind dafür zusammengeblieben.
Layama: Die Weltmedien waren bald vor Ort und konnten sehen, was wirklich passierte. Man muss ja nur auf die Bilder schauen, die Kameraleute und Fotografen gemacht haben. Wenn man sich diese angeblichen muslimischen Rebellen genau ansah, sah man doch sofort, dass das keine wirklichen Muslime sind. Sie hatten Amulette um den Hals gehängt, Gris-Gris, Zähne von Tieren oder Stücke von Holz. Das hat doch nichts mit Religion zu tun.
Frage: Haben sich Ihre Gläubigen nicht auch von diesen Gewalttätern mobilisieren lassen?
Nzapalainga: Wie ist denn die Lage in unserem Land, und dies seit Jahren? Wie ist die Situation der Jugend, die die Mehrheit des Volkes ausmacht: Sie haben meist keine richtige Schulbildung. Sie haben keine Arbeit. Sie haben nichts zu tun und keine Perspektive. Zudem haben wir eine Clanpolitik, die sich an den Interessen der eigenen Ethnie orientiert oder eben auch an den Interessen bestimmter Regionen. Bin ich an der Macht muss ich also sehen, dass ich viel für meine Ethnie oder meine Region heraushole. Das ist die Grundlage auf der diese Krise sich entfalten konnte.
Wir Gläubigen hingegen: Wird sind Menschen des Wortes, der Bibel und des Koran. Das sind unsere Waffen. Wir bauchen keine physischen Waffen. Wir setzen auf die Auseinandersetzung der Worte, um den Konflikt zu führen. Wir sind dazu da, um die Menschen zusammenzuführen.
Aber dann kommen die Leute mit den großen Wagen und dem vielen Geld. Dem folgen die Menschen leicht. Das Geld regiert jetzt. Aber auch ein Land wie die Zentralafrikanische Republik braucht ein Minimum an öffentlicher Ordnung. Das war in der Situation natürlich nicht mehr gegeben. Es herrschte Anarchie. Denn diejenigen mit den Waffen und dem Geld regieren und sie halten sich nicht an die Regeln. Was immer die Eltern sagen, sie können nicht verhindern, dass Jugendliche sich davon angezogen fühlen.
Frage: Wie versuchen Sie, zwischen den Konfliktparteien zu vermitteln?
Nzapalainga: Das ist gar nicht so schwer. Wenn wir zum Beispiel zu dritt in ein Dorf kommen – ein Priester, ein Pastor und ein Imam – sammelt jeder erst einmal die Autoritäten der eigenen Religion um sich. Bei mir sind es die Katholiken: der Priester, die Katecheten und die Gemeinde. Pastor Nicolas Guerekoyame-Gbangou geht auf die Protestanten zu und Imam Kobine Layama auf die Muslime. Wir hören uns an, was dort intern über die Probleme gesagt wird. Die Leute vertrauen uns. Wenn wir unter uns sind, haben sie im Allgemeinen den Mut, die Dinge klar auszusprechen. Da entdeckt man eine Menge Sachen. Aus Gerüchten werden Fakten.
Im Anschluss treffen wir uns zu dritt, vergleichen was wir gehört haben und analysieren das Gesagte. Das Problem ist oft, dass die verschiedenen Gruppen schon lange aufgehört haben, miteinander zu reden. Daher laden wir die Vertreter aller drei religiösen Gruppen in eine gemeinsame Runde unter den Baum des Palavers ein, halten das Gesagte gegeneinander und diskutieren es.
Wenn wir uns auf diese Weise ein gutes Bild der Lage verschafft haben, halten wir zum Schluss eine große öffentliche Versammlung ab, in der wir vor allen die Ergebnisse der bisherigen Treffen vorstellen, aber auch unsere Kernbotschaften und unsere allgemeinen Erfahrungen zu dem Konflikt verdeutlichen.
Frage: Sie waren mehrfach in direkter Lebensgefahr, als Sie sich für den jeweils anderen einsetzten. Woher nehmen Sie Ihre Stärke?
Nzapalainga: Was gibt uns diese Kraft? Der Glaube an Gott und an die Menschen. Gott hat uns gemacht und ist Herr unseres Lebens. Und er hat die Menschen nach seinem Angesicht geschaffen. Tötest du also einen Menschen, tötest du das Abbild Gottes. Das ist etwas Heiliges und dies sollte auch jedem Gewalttäter vor Augen geführt werden. Wer mordet handelt gegen Gottes Plan. Das hat uns angetrieben weiterzumachen.
Viele der Menschen befürchten, ermordet zu werden, wenn sie unangenehm auffallen. Sie haben Angst um ihre Familien. Diese Angst haben wir nicht. Wir sind bereit zu sterben. Sehr viele Muslime haben auf unserem Kirchengelände den Konflikt überlebt. Imam Kobine Layama hat fünf bis sieben Monate bei mir gelebt. Andersherum gibt es natürlich auch Muslime, die Christen gerettet haben.
Layama: Die wirklich Gläubigen haben sich an diesen Gewalttaten nicht beteiligt. Sie haben vielmehr versucht, sich gegenseitig zu schützen. Erzbischof Dieudonne Nzapalainga hat viele Muslime gerettet. Wir danken ihm sehr.
Auch für uns ist das Wort Gottes eine große Kraftquelle. Wir haben die gleichen Aussagen im Koran: Auch wir glauben an die Pflicht zur Nächstenliebe. Wir haben da eine gemeinsame Botschaft, einen humanistischen Auftrag. Aber der muss auch dazu führen, dass man dementsprechend handelt. Erst recht als Führer einer solchen Gemeinde, als Hirte: Man kann die Gemeindemitglieder nicht in der Gefahr allein lassen. Wir sind vereint gegen die, die darauf aus sind, Menschen zu trennen und gegeneinander auszuspielen. Wir setzen auf die Einheit. Und haben trotzdem Respekt vor der Differenz.
Frage: Was erwarten Sie von den Kirchen und Moscheegemeinden in Deutschland?
Nzapalainga: Wenn Sie sehen, wie viele Schulen und andere öffentliche Einrichtungen zerstört worden sind, dann ist klar: Wir haben nicht die Möglichkeit, das allein wiederaufzubauen. Wir brauchen die Hilfe anderer. Zugleich muss man sehen, dass die Zentralafrikanische Republik ein rohstoffreiches Land ist. Man kann nicht sagen, dass alle Menschen im Norden uns wohlgesonnen sind. Es gibt auch Menschen, die an diese Reichtümer billig heranwollen und denen Chaos bei uns ganz recht ist.
Von Erhard Brunn
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