
Kindheit im Kanal
Rumänien ‐ Don Sergio Bergamin ist seit mehr als 15 Jahren in Osteuropa verankert. Der gebürtige Italiener gehörte mit zu den ersten Salesianern in der rumänischen Hafenstadt Constanta. Dort kam er in Kontakt mit den Straßenkindern, die in Kanalschächten lebten. Ihr Schicksal hat ihn seitdem nicht mehr losgelassen.
Aktualisiert: 14.10.2015
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Don Sergio Bergamin ist seit mehr als 15 Jahren in Osteuropa verankert. Der gebürtige Italiener gehörte mit zu den ersten Salesianern in der rumänischen Hafenstadt Constanta. Dort kam er in Kontakt mit den Straßenkindern, die in Kanalschächten lebten. Ihr Schicksal hat ihn nicht mehr losgelassen. Im Interview erzählt er, wie die Straßenkinder Sonia und Vasile ihren Weg gehen konnten.
Frage: Wie haben Sie den Kanalkindern vor 15 Jahren geholfen?
Don Sergio: Wir kauften ein kleines Haus in der Peripherie von Constanta. Da waren zwei Duschen drin und es gab auch Schlafmöglichkeiten. Zudem haben wir den Jungen und Mädchen ein warmes Essen angeboten. Die Kinder sind sehr gerne zu uns gekommen. Wir haben auch Weihnachten mit ihnen gefeiert. Zusammen gegessen, gesungen und Spaß gehabt. Es ist wichtig, für die Kinder und Jugendlichen da zu sein. Zeit mit ihnen zu verbringen und ihnen zuzuhören. Die Kinder konnten, wenn sie wollten, auch dort übernachten.
Frage: Worin lagen die besonderen Herausforderungen?
Don Sergio: Viele Kinder lebten schon lange auf der Straße. Es zog viele auch immer wieder dahin zurück. Sie hatten Probleme sich an Regeln zu halten. Das kannten sie nicht. Ein großes Problem waren natürlich auch die Drogen. Die älteren gaben sie an die jüngeren Kinder weiter. Viele waren abhängig. Wir haben ihnen dann geholfen, davon los zu kommen. Die meisten sind aber auch immer wieder zu uns zurückgekehrt. So wie die Geschwister Sonia und Vasile. Das waren die ersten Straßenkinder, die im Don Bosco Haus in Constanta übernachtet haben. Vasile war circa 14 und Sonia zehn Jahre alt. Ihre Mutter war gestorben und mit dem Stiefvater kamen sie nicht klar. Er hat sie oft geschlagen. Da sind beide irgendwann auf der Straße gelandet. Vasile war sechs Jahre alt, als er weglief. Für Mädchen ist das Leben auf der Straße besonders hart, weil sie schneller Opfer von Gewalt werden, Sonia ist oft verprügelt worden.
Frage: Was ist aus Sonia und Vasile geworden?
Don Sergio: Sonia und Vasile haben es geschafft, ihren Weg zu gehen. Sie leben in bescheidenen Verhältnissen, aber nicht mehr auf der Straße. Sonia hat eine winzige Wohnung, in der sie zusammen mit ihrer wunderbaren sechsjährigen Tochter wohnt. Sie kann ihre Tochter alleine großziehen, auch wenn es finanziell nicht gerade leicht für sie ist. Ihr Mann ist an einem Tumor gestorben. Sie erhält nur eine kleine Rente für sich und ihre Tochter. Sie hat gelernt, Verantwortung zu übernehmen. Das ist ein Riesenschritt, das hätte sie vor einigen Jahren noch nicht gekonnt. Ihre Tochter ist für sie das schönste Geschenk!
Vasile war nie im Gefängnis, das ist nicht selbstverständlich bei einem solch harten Leben auf der Straße. Er arbeitet auf dem Markt und erledigt auch manchmal Einkäufe für Rentner. Die Leute wissen, dass sie ihm vertrauen können. Er ist eine ehrliche Haut geblieben. Es macht mich glücklich, die beiden zu sehen! Trotz aller Widrigkeiten haben sie es geschafft, ein Leben in Würde zu führen.
Das Interview führte Kirsten Prestin.
© Don Bosco Mission Bonn