Bröckelmann-Simon: Die Ziele betreffen alle. Auch wir müssen hier in Deutschland etwa bei der Gesundheit, Armut, Bildung und Geschlechtergerechtigkeit oder beim nachhaltigeren Konsum vieles anpacken. Die Bundesregierung hat selbst gesagt, ein „weiter so“ sei keine Option. Die Nachhaltigkeitsziele bewegen sich dabei in drei Dimensionen. Zuerst die Ziele im eigenen Land, etwa bessere Bildungschancen für alle. Dann kommen Ziele im eigenen Land mit internationalen Folgen, etwa unser künftiger Verbrauch von Rohstoffen, wie Coltan in unseren Handys. Und zuletzt geht es um Ziele unserer internationalen Verantwortung und Außenwirtschaftspolitik, zum Beispiel menschenrechtliche Pflichten deutscher Unternehmen im Ausland.
Frage: Könnte der nationale Fokus den internationalen nicht schmälern?
Bröckelmann-Simon: Das glaube ich nicht. Die Verwobenheit der Welt ist eine wesentliche Erkenntnis der neuen UN-Ziele. Die Grenzen zwischen In- und Ausland, die teils noch in den Köpfen existieren, gibt es in der Praxis nicht mehr. Hinter den SDGs steht daher auch die Anerkennung, dass auch wir ein Entwicklungsland sind. Wir werden und müssen uns verändern.
Frage: Die Flüchtlingskrise zeigt, dass Kriege und Konflikte die Lage in zahlreichen Ländern unerträglich gemacht haben. Müssen die SDGs angesichts dieser Entwicklung umformuliert werden?
Bröckelmann-Simon: Hinter den Nachhaltigkeitszielen steht die Vision einer gerechteren und stabileren Welt mit weniger Konflikten. Wenn es gelingt, dies wirklich umfassend und verbindlich umzusetzen, könnte es gelingen, Fluchtgründe wie Verzweiflung und Perspektivlosigkeit zu verringern. Ich bin kein Utopist, aber es besteht eine Chance, weil klar benannt wird, wo wir ansetzen müssten. Migration gab es allerdings schon immer und sie nimmt bei wachsendem Entwicklungsstand zunächst sogar zu. Insofern werden die Ziele auch nicht primär migrationshemmend wirken. Sie sollten auch nicht in diesem Sinne verstanden werden.
Frage: 17 Ziele und 169 Unterziele, sieht man da den Wald vor lauter Bäumen noch?
Bröckelmann-Simon: Aus unserer Sicht bilden die Ziele notwendigerweise die Komplexität des Prozesses und der Aufgaben ab. Es ist gewiss herausfordernd, bei einer solchen Agenda die unterschiedlichen Bereiche im Blick zu behalten. Sorge bereitet mir daher das regelmäßige Überwachen der Umsetzung aller Ziele. Die Länder dürfen sich nicht nur diejenigen Ziele heraussuchen, in denen sie bereits relativ gut sind.
Frage: Ein Knackpunkt ist die Finanzierung. Die Geberkonferenz in Addis Abeba wurde vielfach als enttäuschend bewertet. Wie viele Mittel braucht es?
Bröckelmann-Simon: Ich glaube nicht, dass derzeit seriös berechnet werden kann, was die Umsetzung der Ziele kostet. Fest steht, es braucht in manchen Bereichen hohe Investitionen. Dafür muss unter anderem auch das Ziel von 0,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes der Industrienationen für Entwicklungshilfe weiter vorangetrieben werden. Zugleich müssen aber auch schon vorhandene Finanzströme in die richtige Richtung gelenkt werden, ich nenne die Stichworte Steueroasen und Finanzmarktregulierung. Teils braucht es eben nicht zusätzliches Geld, sondern strukturelle Änderungen, damit die vorhanden Mittel die richtigen Menschen erreichen. Viele Länder haben keinen Mangel an Ressourcen, sondern verteilen sie falsch.
Von Anna Mertens (KNA)
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