Frage: Die Medien haben in den vergangenen Monaten so viel über das Thema sexuelle Gewalt in Indien berichtet wie kaum zuvor. Das müsste Ihnen im Kampf für Frauenrechte doch nützen oder?
George: Der Missbrauch von Frauen ist eine chronische Krankheit in unserer Gesellschaft. Die heftige Diskussion nach der brutalen Gruppenvergewaltigung und Misshandlung der 23-jährigen Studentin in Delhi, die Anfang des Jahres gestorben ist, hat die mediale Büchse der Pandora geöffnet: Die Medien haben viele Fälle von Vergewaltigungen ans Licht gebracht, über die man zuvor nichts berichtete oder die von den Strafverfolgungsbehörden ignoriert worden waren. Es wird täglich neu über Vergewaltigungen berichtet. Der landesweite Protest, der durch den Vorfall in Delhi startete, hat auch Reformen im Justizbereich bei den Vergewaltigungsverfahren in Form von Schnellverfahren hervorgebracht, die ich als positive Signale werte. Denn ein Urteil, das erst nach zwei oder drei Jahren gefällt wird –, mit der Option auf Berufung – kann für die Frauen keine Gerechtigkeit bedeuten. Deshalb ist es ein Muss, dass der Weg, eigene Gerichtsverfahren für den Umgang mit Vergewaltigungen einzurichten, so wie es die Regierung in manchen Städten schon umgesetzt hat, weiter begangen wird. Sonst ist die Situation für die Frauen nach wie vor dieselbe.
Frage: Aber es gibt doch ein neues Anti-Vergewaltigungsgesetz. Schlägt sich das nicht schon in einem anderen Verhalten der Justiz und Polizei nieder, das ja entscheidend für die Rechte der Opfer ist?
George: Der indische Präsident hat der Verschärfung des Anti-Vergewaltigungsgesetzes gerade jetzt am 2. April zugestimmt, das viele als Sieg für die Frauenrechte sehen. Dieses Gesetz ist ein wichtiger erster Schritt, der eine Änderung im Strafrecht bewirkt. Doch das neue Gesetz ignoriert weiter Vergewaltigungen in der Ehe, die viele Frauen in unserem Land schweigend erleiden. Hier muss sich noch etwas ändern. Gleichwohl stellt das Gesetz neben härteren Strafen für Vergewaltigung, Säure-Attacken und Vergewaltigungen in Polizeigewahrsam unter anderem auch Mobbing, Stalking, körperliche sexuelle Belästigung und obszöne Bemerkungen unter Strafe, die jede indische Frau, immer wenn sie aus dem Haus geht, ertragen muss. Das Gesetz soll auch Kinder vor sexuellen Übergriffen schützen. Es definiert ein Kind als eine geschlechtsneutrale Person unter 18 Jahren und beinhaltet eine klare Definition für alle Arten sexuellen Missbrauchs wie beispielsweise sexuelle Belästigung und Pornografie. Das Gesetz definiert weiter die Art der Bestrafung gemäß der Art und Härte des Vergehens, die auch lebenslange Haftstrafen für die verabscheuungswürdigen Verbrechen, wie sexuelle Übergriffe und sexuellen Missbrauch, mit einschließt. Als Überlebende sexueller Gewalttaten stehen den Opfern finanzielle Entschädigungen für einen Teil der entstandenen Kosten wie zum Beispiel entgangene Löhne, Kosten für medizinische und psychologische Beratung zu, die der Staat trägt.