Das sieht die Pharmaindustrie natürlich ganz anders. Ihr Argument sind die immens hohen Kosten der Entwicklung neuer und wirksamer Medikamente, die nur durch den Patentschutz wieder neutralisiert werden könnten. Dementsprechend enttäuscht reagierte auch der Konzern Novartis auf das indische Urteil. Es sei "entmutigend" für künftige Innovationen, schreibt Novartis. Der Indien-Vize des Konzerns, Ranjit Shahani, sagte, das Urteil sei schlussendlich auch ein Rückschlag für die Patienten in Indien, weil der medizinische Fortschritt behindert werde. Nach Angaben des US-Branchenverbandes PhRMA dauert es in den USA im Durchschnitt 15 Jahre und kostet eine Milliarde US-Dollar, um ein neues Medikament auf den Markt zu bringen.
Doch solche Argumente überzeugen Oliver Moldenhauer und Joachim Rüppel nicht. So stecken nach Angaben Rüppels Pharmakonzerne nur 10 bis 15 Prozent ihrer Gewinne in Forschung und Entwicklung. Und es seien nicht nur die Pharmakonzerne, sondern auch staatlich finanzierte wissenschaftliche Stellen, die an der Entwicklung neuer Medikamente arbeiteten: "Diese haben aber nicht die Ressourcen für große Studien oder die industrielle Herstellung von Medikamenten", sagt Rüppel vom Missionsärztlichen Institut.
Investition in Kosmetik lukrativer als in Medikamente gegen Krankheiten der Armen
Eine Möglichkeit, um mehr Menschen einen bezahlbaren Zugang zu lebenswichtigen Medikamenten zu ermöglichen, ist für Rüppel und Moldenhauer die Einführung sogenannter "Zwangslizenzen". Bei diesem Modell wird der Markt zwar nicht komplett freigegeben, der Staat erteilt aber auch anderen Konzernen als dem Entwickler die Erlaubnis zur Produktion eines bestimmten Medikaments. So entstehe ein Wettbewerb, der den Preis für die Pillen drückt.
Letztendlich plädieren beide jedoch für eine Umstrukturierung des Pharmasektors - weg vom Markt, hin zu einer staatlichen Lenkung: "Ideal wäre ein System, das nicht von hohen Einnahmen für die Medikamente lebt", sagt Moldenhauer. Joachim Rüppel erklärt warum: Beim bestehenden System sei der Anreiz hoch, dort zu forschen und zu investieren, wo am meisten Geld verdient werde. "Und das ist dort, wo die Einkommen hoch sind. Bei den armen Menschen funktioniert das nicht." So könne es im Extremfall lukrativer sein, in teure kosmetische Medikamente zu investieren, als in Medikamente gegen die tödlichen Krankheiten armer Menschen.
Nach dem indischen Urteil wünscht sich Rüppel übrigens auch Konsequenzen für Deutschland: "Wir sollten die Debatte über hohe Preise für Medikamente kritischer führen", fordert er. Über mehr günstigere Medikamente würden sich sicher auch hierzulande nicht wenige Menschen freuen.
Von Gabriele Höfling