Eng gewachsene Regenwaldbäume
Widerstand auch in den Reihen der brasilianischen Regierung

Lulas Umwelt- und Indigenenpolitik gerät unter Druck

In Brasilien drohen schwere politische Rückschläge gegen Waldschutzprojekte und die geplante Land-Zuteilung an Indigene. Beim Kampf gegen die grüne Agenda machen auch Teile von Präsident Lulas eigener Regierung mit.

Erstellt: 30.05.2023
Aktualisiert: 30.05.2023
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Von Thomas Milz (KNA)

Der Schutz der Umwelt und der indigenen Völker war ein zentrales Versprechen des linken brasilianischen Präsidenten Luiz Inacio Lula da Silva. Nicht nur gegenüber den Millionen Landsleuten, die ihn im Oktober wählten, sondern auch gegenüber der internationalen Gemeinschaft, die auf Brasilien bei der Rettung des Klimas setzt. Doch fünf Monate nach dem Amtsantritt wird bereits fleißig an Lulas grüner Agenda gesägt. Dabei beteiligen sich auch Regierungsmitglieder und Abgeordnete seiner eigenen Koalition.

So wollen Abgeordnete des mit Lula verbündeten Zentrumsblocks sowohl dem Umweltministerium wie auch dem neu geschaffenen Ministerium für die indigenen Völker wichtige Kompetenzen entziehen. Obwohl Umweltministerin Marina Silva und die Indigenen-Ministerin Sonia Guajajara im Wahlkampf zu Lulas wichtigsten Zugpferden zählten, will der 77-Jährige nun anscheinend dem Druck der Zentrumspolitiker nachgeben. Diese schielen darauf, die Behörden mit eigenen Leuten zu besetzen und den Einfluss von Umwelt- und Indigenen-Aktivisten innerhalb der Regierung zu reduzieren.

Besonders schwer wiegt das Ansinnen, die Kompetenz für die Zuteilung von Staatsland an Indigene dem Guajajara-Ministerium zu entziehen und zurück ins Justizministerium zu geben. Lula hatte zuletzt stets betont, dass die Einrichtung der Reservate ein wichtiges Instrument zum Waldschutz sei. Dass der Präsident einzuknicken scheint, veranlasste Guajajara jüngst zu der Aussage, sie sei „von Lula frustriert“.

Im Kongress liegen derweil weitere Umwelt-Zeitbomben. So wird über die Erleichterung der Abholzung in den atlantischen Küstenwäldern beraten. Und noch in dieser Woche will das Unterhaus über eine Gesetzesinitiative zur Einführung des „Marco Temporal“ als Kriterium für die Vergabe von Land an Indigene abstimmen.

Diese „Zeitmarke 1988“ besagt, dass Indigene nur Anspruch auf das zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Verfassung am 5. Oktober 1988 tatsächlich besiedelte Gebiet haben - eine im Agrarsektor beliebte, aber unter Juristen umstrittene Rechtsauffassung. Damit hätten die Ureinwohner keinen Anspruch auf die ihnen vor 1988 geraubten Gebiete. Die einflussreiche Agrar-Fraktion will mit der Abstimmung Druck auf das Oberste Gericht ausüben, das am 7. Juni über den „Marco Temporal“ berät.

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) forderte die Abgeordneten am Montag auf, gegen die Initiative zu stimmen. „Indigenes Land beginnt oder endet nicht durch ein willkürlich festgesetztes Datum“, sagte HRW-Expertin Maria Laura Canineu. Die Verabschiedung des Gesetzes würde ihrer Meinung nach gegen Menschenrechte verstoßen und zeigen, dass Brasilien seine Versprechen gegenüber den indigenen Gemeinschaften nicht halte, die am besten den Wald schützen könnten.

Die Gräben zwischen Umwelt-Aktivisten und Wirtschaftslobby verlaufen mitten durch Lulas Kabinett. So plant die Regierung vom Agrarsektor gewünschte Projekte in der Amazonasregion wie den Bau einer Eisenbahnlinie sowie die Asphaltierung der Fernstraße zwischen Manaus und Porto Velho. Ebenfalls kritisch sieht das Umweltministerium geplante Subventionen für den Kauf von Kleinwagen, die die darbende Pkw-Industrie anschieben sollen.

Zuletzt soll es gar zu persönlichen Verstimmungen zwischen Lula und Ministerin Silva gekommen sein. Die Silva unterstellte Umweltbehörde Ibama hatte dem halbstaatlichen Energieriesen Petrobras untersagt, Probebohrungen vor der Küste Nordbrasiliens vorzunehmen. Erst seien weitere Analysen notwendig, die das Risiko der Ölförderung für die Region vor der Amazonasmündung untersuchen, so Ibama. Die Region ist besonders fischreich, aber hat auch ein großes Potenzial für die Offshore-Förderung.

Das „Nein“ von Ibama erwischte Lula auf dem G7-Gipfel in Hiroshima kalt. Er steht hinter dem Förderprojekt und soll verstimmt gewesen sein, weil Silva ihn nicht im Vorfeld über den negativen Bescheid informierte. Für die Ministerin hingegen verstößt das Förderprojekt gegen die im Wahlkampf von Lula gemachten Versprechen zur Reduzierung fossiler Treibstoffe und Emissionen. Derzeit sieht sich Silva einem zunehmenden Druck aus Lulas Kabinett ausgesetzt, Petrobras doch die Bohrgenehmigung auszustellen.

Die Episode erinnert an Silvas erste Amtszeit als Lulas Umweltministerin ab 2003. Damals hatte Lula Projekte zur wirtschaftlichen Entwicklung der Amazonasregion wie den Bau des Megastaudamms Belo Monte gegen ihren Willen durchgedrückt. Silva erklärte daraufhin im Jahr 2008 ihren Rücktritt und ging in die Opposition. Im Wahlkampf des vergangenen Jahres gelang es Lula überraschend, sie und zahlreiche Umweltaktivisten für seine Kampagne zu gewinnen. Angesichts der jüngsten Rückschläge spekulieren Medien jedoch bereits über einen erneuten Abschied von Silva aus dem Kabinett.