„Pufferstaat zwischen Kriegsgebiet und Nato“

Katholische Kirche warnt vor Pulverfass in Moldau

Leipzig ‐ In der Republik Moldau ist die Anspannung enorm gewachsen, in den russischen Angriffskrieg auf die benachbarte Ukraine hineingezogen zu werden.

Erstellt: 06.03.2023
Aktualisiert: 16.03.2023
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Von Von Karin Wollschläger (KNA)

Die Spitze der kleinen katholischen Minderheitenkirche in Moldau befürchtet, dass die Republik das Pulverfass sein könnte, um einen neuen Weltkrieg auszulösen. Bei einem Kurzbesuch in Leipzig sprach der Generalvikar des Bistums Chisinau, Cesare Lodeserto, am Montag mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) über die politische Lage, EU-Versäumnisse und Friedensaussichten – für einen Kirchenmann erstaunlich Tacheles.

Frage: Don Cesare, wie stellt sich die politische Situation in Moldau aktuell dar? Das Land hat eine westlich orientierte Regierung, aber es gibt eine starke pro-russische Opposition.

Lodeserto: Moldau ist ein Land mit zwei Seelen: zum einen die russlandfreundliche, geprägt durch Geschichte, Sprache und durch die orthodoxe Kirche, die zum Patriarchat von Moskau gehört. Und es gibt die europäische Seele, die vor allem von einer auch engen Beziehung zum anderen Nachbarland Rumänien herrührt. Seit 1990 haben sich die pro-russischen und pro-europäischen Regierungen im Prinzip immer abgewechselt.

Moldau hat gegenwärtig seine Neutralität erklärt und ganz sicher keine Absicht, Russland den Krieg zu erklären. Aber es ist eine ausgesprochen delikate, schwierige Situation. Es ist ein Pufferstaat zwischen dem Kriegsgebiet und den Grenzen der Nato. Zum anderen ist da das Transnistrien-Problem, das seit 30 Jahren nicht gelöst ist.

Frage: Sie meinen die abtrünnige pro-russische Region Transnistrien im Osten von Moldau, wo seit den 90er Jahren auch russische Soldaten stationiert sind. Welche Rolle spielt sie im Konflikt - und was würde eine russische Annexion für die Republik Moldau bedeuten?

Lodeserto: Der russische Präsident Putin hat vor wenigen Wochen die Vereinbarung von 2012 zerrissen, die Transnistrien als Teil von Moldau deklariert. Aktuell stehen dort 1.500 russische Soldaten und etwa 26.000 Tonnen russisches Kriegsgerät und Waffen. Wenn es jetzt von der Ukraine oder anderen einen wie auch immer gearteten Angriff auf Transnistrien gäbe, würde Putin das als Angriff auf russisches Territorium werten. Moldaus Regierung ist bemüht, ausgleichend und beruhigend zu wirken, um den Konflikt dort nicht hochkochen zu lassen.

Vor einigen Tagen wurde in Transnistrien von den moskautreuen Kräften zu einer Art Mobilmachung für alle Männer unter 55 Jahren aufgerufen. Und es genügt wenig, um die Lage eskalieren zu lassen. Es ist das berühmte Streichholz an der Lunte. Es wäre eine Tragödie, wenn es in Transnistrien zur Explosion käme. Das würde Moldau in einen Krieg stürzen - und es wäre die Ouvertüre für einen dritten Weltkrieg.

Frage: Gegenwärtig mobilisieren die pro-russischen Kräfte viele Menschen in Moldau bei Demonstrationen.

Lodeserto: Ja, das sind in der Tat überlaufene Demonstrationen. Jüngste Statistiken zeigen aber, dass 50 Prozent der Bevölkerung müde sind, in einer derart instabilen politischen Situation zu leben. Die aktuelle Regierung arbeitet daran, sich noch weiter nach Europa hin zu organisieren. Aber das braucht seine Zeit; Gesetze müssen angepasst werden.

Frage: Am Wochenende wurde in deutschen Medien bekannt, dass die EU eine zivile Mission in Moldau zur Absicherung ab etwa Frühsommer plane. Zu spät?

Lodeserto: Es ist absolut notwendig, dass die EU in der Region eine größere Verantwortung übernimmt. Meiner Ansicht nach ist die EU eindeutig in Verzug. Das wird gegenwärtig durch die US-Amerikaner und die Nato ausgeglichen. Es ist die Aufgabe der EU, auch die Zivilbevölkerung in Moldau näher an Europa heranzuführen. Das hätte sie schon längst tun sollen; aber bislang gab es - von einzelnen Ländern wie Deutschland und Polen abgesehen - keine große Aufmerksamkeit der europäischen Politik für dieses kleine, arme Land. Es braucht hier eine neue Klarheit der EU.

Frage: Wie schätzen Sie die diplomatischen Vermittlungsmöglichkeiten von Papst Franziskus ein, um den Krieg zu beenden?

Lodeserto: Papst Franziskus sagt: 'Der Weg des Friedens beginnt, indem die Waffen schweigen.' Das ist eine Haltung, die geteilt wird. Es läuft aber konträr zur Haltung, die in der Ukraine vorherrscht. Die ukrainische Führung verlangt eindeutig Waffenlieferungen; denn das ist im Kriegsgeschehen die einzige Lösung. Doch da ist auch der ukrainische Nationalismus, der sagt: 'Solange auch nur ein russischer Soldat auf ukrainischem Boden steht, wird gekämpft.' Das lässt die Botschaft des Papstes auf ein Abstellgleis fahren.

Es war richtig, dass Europa die Ukraine in dem russischen Angriffskrieg unterstützt hat. Aber es geht jetzt nicht nur darum, Waffen zu liefern. Es muss auch eine diplomatische Vision entwickelt werden, die über den Krieg hinausgeht. Dieser Krieg ist letztlich das Resultat vieler nicht ausgefochtener Konflikte.

Frage: Wie wäre denn Frieden möglich?

Lodeserto: Frieden verlangt Mut - auch einen Frieden zu akzeptieren, der seine Grenzen hat. Das geht dahin, dass man sich hinsetzt und verhandelt. Das Problem ist nicht der Wille zum Frieden; den gibt es. Das große Problem ist die Voraussetzung für den Frieden: Dialogbereitschaft; die gibt es nicht. Der ukrainische Präsident Selenskyj spielt eine Rolle, die auch die Opfer der Menschen einkalkuliert. Es gibt nicht unbedingt eine Deckungsgleichheit zwischen dem, was Selenskyj sagt, und dem, was das ukrainische Volk denkt.

Frage: Die moldauische Regierung appelliert an die russisch-orthodoxe Kirche im Land, sich vom Moskauer Patriarchat loszusagen. Das will sie aber nicht, wiewohl sie den Krieg nach eigenen Worten ablehnt. Wie sind Sie als katholische Minderheitenkirche mit den russisch-orthodoxen Mitbrüdern im Gespräch?

Lodeserto: Wir haben eine freundschaftliche Beziehung, geprägt von wechselseitigem Respekt. Wir leben sozusagen eine Ökumene der Freundschaft. Aber darüber hinaus geht nichts. Klar, als katholische Kirche arbeiten wir für den Frieden. Aber wir bringen den Frieden zu denen, die wirklich unter dem Krieg leiden. Für die Geflüchteten etwa, für die setzen wir uns ein.

KNA

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