„Die Menschen leiden"
Das Erdbeben in Nordsyrien hat Zehntausende Opfer gefordert. Immer noch drohen Nachbeben. P. Alejandro Leon SDB, Salesianer-Provinzial im Nahen Osten, ist vor Ort – und berichtet vom Leid der Menschen in Aleppo.
Aktualisiert: 15.03.2023
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Frage: Wie ist die aktuelle Situation?
P. Alejandro Leon SDB: Die Situation hat sich zugespitzt. Gestern gab es ein zweites Erdbeben. Die Menschen hatten Panik und Angst. Ihre Traumata des ersten Erdbebens sind wieder hervorgekommen. 750 Personen sind dann in unsere Einrichtung in Aleppo gekommen. So viele Menschen wie nie zuvor. Viele Kinder haben geweint. Auch viele alte Menschen kamen zu uns. Alle machten sich Sorgen um ihre Familien. Viele wussten nicht, was mit den anderen Familienmitgliedern ist.
Frage: Was gibt es für Herausforderungen?
Leon: Es ist schwierig für uns alle Menschen zu versorgen. Wir haben nur Matratzen für 400 Personen. Die Leute mussten dann teilweise auf dem Boden oder in einem Stuhl schlafen. Auch Decken haben wir nicht ausreichend für so viele Menschen.
Die Menschen in Aleppo sind vom Krieg gezeichnet. Seit acht Jahren gibt es am Tag nur für eine Stunde Strom. Wir sind hier alle nicht auf die Kälte vorbereitet. In den Wohnungen ist höchstens ein Zimmer beheizt. Wenn überhaupt! Es gibt praktisch keinen Brennstoff und wenn, dann ist der viel zu teuer. Es fehlt an allem.
„Die Kirchen fordern schon lange, die internationalen Sanktionen aufzuheben. Sie treffen nur die Zivilbevölkerung und nicht die Verantwortlichen. Die Menschen leiden und wir brauchen entschiedene internationale Hilfe!“
Frage: Wie wichtig ist die seelische Unterstützung?
Leon: Die psychologische Unterstützung ist sehr wichtig! Viele sagen, dass sich ohne unsere seelische Unterstützung die Situation noch verschlimmern würde. Es ist sozusagen eine Präventionsmaßnahme. Wir bräuchten viel mehr gut ausgebildete Psychologen. Es gibt viel zu wenige davon. Psychologie ist immer noch verschrien. Das sei etwas für Verrückte. Aber die Menschen brauchen diese Unterstützung. Sie haben viel zu viel mitgemacht und fragen sich, was sie getan haben, dass sie so viel Leid ertragen müssen. Der Krieg, der vor 12 Jahren begonnen hat, Bombardierungen, Choleraausbruch, finanzielle Krisen und Corona.
Frage: Was gibt Ihnen Kraft?
Leon: Im Anblick des Leids fühle ich oft eine Ohnmacht. Wie kann ich den Menschen helfen? Das ist sehr hart. Beim zweiten Erdbeben waren auch viele alte Menschen bei uns. Ich konnte ihnen nichts außer eine Decke und einen Stuhl anbieten. Das könnten meine Eltern sein. Und ich kann ihnen nicht mehr bieten. Die Menschen sind aber trotzdem dankbar und sehr freundlich. Das gibt mir Kraft. Es ist ein Geschenk Gottes bei den Menschen in Syrien zu sein. Ich habe Theologie und Philosophie studiert, aber wirklich gelernt, was Gott bedeutet, habe ich hier. Hier habe ich den Wert des Lebens schätzen gelernt.
Die Fragen stellte Kirsten Prestin/Don Bosco Mission Bonn