Vor 50 Jahren: Nordiren stimmten für Verbleib im Vereinigten Königreich
Bis heute gültig, jedoch umstritten

Vor 50 Jahren: Nordiren stimmten für Verbleib im Vereinigten Königreich

Belfast  ‐ Ein nur scheinbar deutliches Ergebnis: Vor 50 Jahren stimmten in Nordirland fast 99 Prozent für den Verbleib im Vereinigten Königreich. Doch löste das Referendum den Konflikt nicht – und könnte sich bald überlebt haben.

Erstellt: 07.03.2023
Aktualisiert: 05.02.2024
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Von Johannes Senk (KNA)

Volksabstimmungen können in der Rückschau oft tragische Ironie erhalten. Als 2014 die Schotten über ihre Unabhängigkeit vom Vereinigten Königreich abstimmten, sprach sich eine Mehrheit von rund 55 Prozent dagegen aus. Hauptargument war der Verbleib in der EU, der dadurch als gesichert galt. Zwei Jahre später dann die Entscheidung zum Brexit, mit ganz knapp 51 Prozent Zustimmung im ganzen Land – in Schottland allerdings mit einer breiten pro-europäischen Mehrheit. Aber: Mit gehangen, mit gefangen. Derzeit versuchen die Schotten, ein erneutes Unabhängigkeitsreferendum durchzubekommen, noch mit ungewissem Erfolgsaussichten.

Neben Schottland – und London – war Nordirland Hochburg der Brexit-Gegner. Über einen Anschluss an die Republik Irland wird seitdem wieder verstärkt debattiert, vor einer Abstimmung allerdings noch zurückgeschreckt. Das mag vielleicht auch daran liegen, dass es eine solche bereits gab: Vor nunmehr 50 Jahren, am 8. März 1973 stimmten knapp 99 Prozent für den Verbleib im Vereinigten Königreich.

Ein Traumergebnis für die Unionisten, das mit der Realität im Norden der Insel aber herzlich wenig zu tun hatte. Tatsächlich war die Gefahr eines Bürgerkrieges zwischen republikanisch, pro-irisch eingestellten Katholiken und den meist unionistischen Protestanten zu Beginn der 1970er Jahre greifbar. In mehreren Städten Nordirlands kam es zu Unruhen und Straßenschlachten, woraufhin die britische Regierung die Armee zur Unterstützung der örtlichen Sicherheitsbehörden entsandte. Trauriger Höhepunkt der Intervention wurde der „Blutsonntag“ (Bloody Sunday) am 30. Januar 1972: In Derry eröffneten britische Fallschirmjäger das Feuer auf eine friedliche Demonstration. 13 Menschen starben, darunter sechs 17- und ein 19-Jähriger.

Aus seinen Erinnerungen war 1972 das schlimmste Jahr, sagt Donal McKeown (72). Damals, gerade Anfang 20, war er als Student in Belfast und berichtete auch für die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) in Deutschland über die Vorkommnisse. Später wurde er Priester; seit 2014 ist er Bischof von Derry – der Stadt des „Blutsonntags“.

Katholiken boykottierten die Abstimmung

Spätestens in dieser Zeit hatte die britische Regierung ihre Glaubwürdigkeit unter den nordirischen Katholiken vollends verloren, so McKeown. Insofern war das Interesse an einem Volksentscheid, wie er Anfang 1973 durchgeführt wurde, auch gering. „Die Probleme waren zu tief, und so ein Referendum würde nichts Neues ans Licht bringen“, erklärt der Bischof.

Folglich boykottierten die Katholiken die Abstimmung; am Ende stand lediglich ein Prozent für den Anschluss an Irland. Wobei zu bemerken ist, dass die Katholiken damals ohnehin in der Minderheit waren. Gerechnet auf die Gesamtzahl der Wahlberechtigten im Land stimmten immerhin gut 57 Prozent für den Verbleib. Insofern hätte auch die Teilnahme der Katholiken nichts geändert – was in London wohlbekannt gewesen sein dürfte.

Folglich boykottierten die Katholiken die Abstimmung; am Ende stand lediglich ein Prozent für den Anschluss an Irland. Wobei zu bemerken ist, dass die Katholiken damals ohnehin in der Minderheit waren. Gerechnet auf die Gesamtzahl der Wahlberechtigten im Land stimmten immerhin gut 57 Prozent für den Verbleib. Insofern hätte auch die Teilnahme der Katholiken nichts geändert - was in London wohlbekannt gewesen sein dürfte.

Ruhe kehrte in Nordirland trotzdem nicht ein. Die berüchtigte Irisch-Republikanische Armee (IRA) führte weiterhin einen Guerilla-Krieg. Ihm fielen etliche Sicherheitskräfte und Funktionsträger der britischen Regierung zum Opfer. Gleichzeitig wurden katholische Nordiren unter echten oder vorgeblichen Terrorismusvorwürfen festgenommen, gefoltert und auch getötet.

Befriedet wurde die bewaffnete Auseinandersetzung erst im Jahr 1998 durch das sogenannte Karfreitagsabkommen. Dieses hält ausdrücklich fest: Die Möglichkeit einer Wiedervereinigung mit der Republik Irland ist nicht ausgeschlossen, wenn sich die Mehrheit der Nordiren dafür ausspricht.

Bislang galt das zwar als wenig wahrscheinlich. Seit vergangenem Jahr bilden aber Katholiken erstmals wieder die größte Glaubensgruppe im Norden. Laut aktuellem Zensus sind 45,7 Prozent der knapp zwei Millionen Nordiren katholisch und 43,5 Prozent protestantisch. Zudem fiel im Zehnjahresvergleich die Zahl derer, die sich als britisch identifizierten, von 40 auf knapp 32 Prozent. Demgegenüber stieg die Zahl der „Iren“ von 25 auf über 29 Prozent.

Verbunden mit der mehrheitlichen Unzufriedenheit der Nordiren über den Brexit erscheint es nicht unwahrscheinlich, dass es nun erneut zu einem Referendum kommen könnte. Die aktuelle konservative britische Regierung wird wohl versuchen, dies zu verhindern. Denn diesmal könnte man sich in London des Ausgangs deutlich weniger sicher sein.

KNA

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