Papst Johannes Paul II.
Bild: © KNA-Bild
Niederländische Medien kratzen am Bild von Johannes Paul II.

Hat der frühere Papst Missbrauch vertuscht?

Amsterdam/Warschau ‐ Ein Autor aus den Niederlanden will „felsenfeste Beweise“ dafür gefunden haben, dass Johannes Paul II. als Erzbischof Missbrauch vertuscht hat. Polnische Journalisten gelangen zu einer anderen Einschätzung.

Erstellt: 05.12.2022
Aktualisiert: 05.12.2022
Lesedauer: 
Von Alexander Pitz (KNA)

Im Nachhinein wirkt es so, als hätten sie geahnt, was noch kommt. Mitte November entschieden sich die katholischen Bischöfe in Polen für eine Vorwärtsverteidigung zum Schutz ihres Nationalheiligen: Es scheine eine „Art Mode“ geworden zu sein, zu behaupten, der frühere Papst Johannes Paul II. (1978-2005) sei nicht richtig mit kirchlichen Missbrauchsfällen umgegangen oder habe solche Taten gar vertuscht. Es werde versucht, seine „Autorität anzufechten und sogar seine Heiligkeit in Frage zu stellen“, kritisierten die Bischöfe in einer Art Brandbrief.

Es sei eine „unbestreitbare Tatsache“, dass der populäre Pole einen „entschlossenen Kampf gegen Fälle des sexuellen Missbrauchs von Kindern und Minderjährigen durch einige Geistliche“ geführt habe, heißt es in dem Schreiben weiter. Zuvor hatten kritische Stimmen dem einstigen Kirchenoberhaupt mehrfach einen nachlässigen Umgang mit der Problematik vorgeworfen. An seiner Beliebtheit änderte das wenig. Laut Umfragen genießt Johannes Paul II. weiter hohes Ansehen.

Nun aber will der niederländische Journalist Ekke Overbeek „felsenfeste Beweise“ gefunden haben, die das Glaubensvorbild vollends ins Zwielicht rücken könnten. In Vorabberichten für mehrere Medien erklärte der Autor am Wochenende, Karol Wojtyla habe als Erzbischof von Krakau dazu beigetragen, Missbrauchsfälle in den Reihen der Kirche zu vertuschen. In Dokumenten fänden sich Informationen zu konkreten Fällen, in denen Wojtyla wissentlich Missbrauchspriester in andere Bistümer versetzt habe. Selbst verurteilten Tätern sei erlaubt worden, in anderen Diözesen weiterzuarbeiten.

„Das führte zu weiteren Opfern“, sagte Overbeek dem Sender NOS. Er beruft sich auf alte Geheimdienstdokumente, die er bei jahrelangen Nachforschungen in polnischen Archiven entdeckt habe. Ein Buch darüber soll Anfang 2023 unter dem Titel „Maxima Culpa“ erscheinen.

Die Macher der TV-Sendung „Nieuwsuur“ gaben das Manuskript dem US-amerikanischen Kirchenrechtler und Opferanwalt Thomas Doyle zu lesen. Der bestätigte: „Was ich lese, ist brisant.“ Das bisherige Bild des Papstes werde dadurch auf den Kopf gestellt. „Er war nicht Teil der Lösung, er war Teil des Problems. Er hat nichts getan“, so das drastische Fazit des Experten. Ähnlich äußerte sich laut niederländischen Medien der ehemalige Krakauer Jesuit und heutige Kirchenkritiker Stanislaw Obirek. Der Kulturanthropologe bezeichnete das von Overbeek vorgebrachte Material als stichhaltig.

Hat Karol Wojtyla als Erzbischof von Krakau also tatsächlich Missbrauch vertuscht? Polnische Journalisten behandeln die Frage grundlegend anders als ihre Kollegen in den Niederlanden. Die Zeitung „Rzeczpospolita“ in Warschau stellte dem Landsmann kürzlich ein wohlwollendes Zeugnis aus. In einem Artikel, der vor einigen Tagen erschien, schilderte das Blatt beispielhaft den Fall eines glaubwürdig beschuldigten Priesters aus dem Jahr 1970. Kardinal Wojtyla habe, wie aus den Akten hervorgehe, „zu diesem Zeitpunkt alle notwendigen Entscheidungen getroffen“: rascher Ausschluss aus der Gemeinde, Suspendierung und die Anordnung, bis zur Klärung der Angelegenheit in einem Kloster zu leben.

Zudem weist „Rzeczpospolita“ auf einen Umstand hin, den Doyle, Obirek und Overbeek nicht erwähnen: Geheimdienstunterlagen des seinerzeit kommunistischen Regimes in Polen, das der Kirche gewiss nicht freundlich gegenüberstand, sind mit Vorsicht auszuwerten. Ob das bei den Recherchen zu dem neuen Enthüllungsbuch geschehen ist, bleibt vorerst offen. Weder die Erzdiözese Krakau noch der Vatikan äußerten sich bislang zu den Vorwürfen. Und Pawel Rytel-Andrianik, Direktor für die Auslandskommunikation der Polnischen Bischofskonferenz, antwortete auf Anfrage der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) lediglich knapp: „Das liegt nicht in meiner Zuständigkeit.“

KNA