„Niemand braucht eine Kirche, die sich nur mit sich beschäftigt“
Stockholm ‐ Der Bischof von Stockholm, Kardinal Anders Arborelius (73), zählt zu den Kritikern des Synodalen Wegs in Deutschland. Im Alter von 20 Jahren konvertierte er von der lutherischen zur katholischen Kirche. Seit 1998 ist Aborelius Bischof von Stockholm, von 2005 bis 2015 war er Vorsitzender der Nordischen Bischofskonferenz, seit 2017 ist er Kardinal. Ein Gespräch über den synodalen Prozess, das gefährdete Volk der Samen – und den NATO-Beitritt Schwedens.
Aktualisiert: 19.10.2022
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Frage: Herr Kardinal, Sie zählen zu den Kritikern des Reformprozesses des Synodalen Wegs in Deutschland. Warum?
Arborelius: Synodalität heißt für mich, einander ernsthaft zuzuhören und aufeinander zuzugehen. Das bedeutet, keine extremen Standpunkte einzunehmen. Ansonsten droht eine starke Polarisierung. Ich teile viele Anliegen des Synodalen Wegs – aber ich mache mir Sorgen, weil die Debatte nun so kontrovers geführt wird.
Frage: Was bedeutet Synodalität für Sie?
Arborelius: Papst Franziskus geht es auch um das Thema Partizipation. Ohne Partizipation würde unser Gemeindeleben in Schweden zusammenbrechen. Wir haben in Schweden etwa 600 Katechetinnen und Katecheten, die sich ehrenamtlich engagieren.
Frage: Wie gestalten Sie den synodalen Prozess in Schweden?
Arborelius: Wir haben ihn im Kleinen begonnen – ganz demütig. Auffallend war, dass die Einwandergruppen andere Erwartungen an die katholische Kirche haben als Alteingesessene. Migrantinnen und Migranten haben weniger Verständnis für radikale Reformen.
Frage: Beim synodalen Prozess geht es auch um die Frage von Macht und Gewaltenteilung. Wären Sie bereit, als Kardinal Macht abzugeben?
Arborelius: Selbstverständlich! Wobei ich nicht weiß, ob ich als Kardinal überhaupt mächtig bin. Schweden ist ein säkularisiertes Land. Ich bin auf meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angewiesen und wir haben hier nur bescheidene Ressourcen. Wir müssen einen guten Dialog zu den anderen Kirchen pflegen. Macht- und Gewaltenteilung passen sehr gut zur schwedischen Mentalität. Schweden ist keine hierarchische Gesellschaft. Von daher bin ich schon jetzt als Bischof und Kardinal bemüht, auf andere zu hören und sie einzubinden.
Frage: Wie kann man sich die katholische Kirche in Schweden vorstellen?
Arborelius: Seit der Reformation sind wir Katholikinnen und Katholiken in Schweden in der Minderheit. Das prägt unsere Kirche. Die meisten unserer Kirchenmitglieder haben einen Migrationshintergrund und stammen etwa aus Ost- und Südeuropa, Lateinamerika, dem Nahen Osten und Afrika. Das hat auch Vorteile: Im Gegensatz zur lutherischen Kirche ist unsere Kirche am Wachsen.
Frage: Hier kennt man vom schwedischen Brauchtum vor allem die Mittsommernacht. Gibt es andere Beispiele für Inkulturation?
Arborelius: Die Adventszeit ist für die lutherische Kirche sehr, sehr wichtig und damit auch für uns. Die Fenster sind voller Kerzen. Das Lucia-Fest wird groß gefeiert. Interessanterweise sind die größten Fans unseres Brauchtums die Migrantinnen und Migranten. Sie sind von der Heiligen Lucia begeistert. Ich nehme die nordischen Länder als sehr naturverbunden war. Das spiegelt sich auch in einem starken ökologischen Bewusstsein wider.
Frage: Papst Franziskus setzt sich in „Laudato si“ und in „Querida Amazonia“ für die Rechte der Indigenen ein. Was bedeutet das für das Volk der Samen?
Arborelius: Vieles, was Papst Franziskus mit Blick auf die Amazonas-Region schreibt, können wir auch auf unsere Verhältnisse übertragen. Die Samen sind beinahe Opfer eines kulturellen Genozids geworden. Die schlimmen Konsequenzen angeblicher kulturellen Überlegenheit hat Papst Franziskus auf seiner Kanada-Reise kürzlich angeprangert.
Die Samen genießen zwar einen besonderen Schutz. Trotzdem ist ihre gesellschaftliche Stellung sehr schwach. Es kommt immer wieder zu Konflikten, wenn die Samen mit ihren Rentieren aufkreuzen. Zum Teil suchen Konzerne Metalle und andere Rohstoffe und wollen die Samen vertreiben. Das sorgt für zusätzliche Spannungen.
Frage: Was schätzen Sie am meisten an Papst Franziskus?
Arborelius: Seine Demut, seine Bescheidenheit, seine Liebe zu den Armen. Franziskus hat eine charismatische Haltung. In unserer Zeit, in der viele in den Kategorien von „höher, schneller, weiter“ denken, sind Franziskus' Demut und Bescheidenheit ein Lichtblick.
Frage: Was bedeutet für Sie Franziskus' Wunsch nach einer missionarischen Kirche?
Arborelius: Es geht darum, als katholische Kirche das Evangelium ins Zentrum zu rücken. Niemand braucht eine Kirche, die sich nur mit sich selbst beschäftigt. In Schweden haben vor allem Akademikerinnen und Akademiker Interesse an der katholischen Kirche. Auch darauf müssen wir reagieren.
Frage: Und wie genau?
Arborelius: Wir dürfen uns nicht abschotten, sondern müssen Antworten auf die Fragen der Zeit geben. Wir sollten uns stärker mit der zeitgenössischen Literatur auseinandersetzen. Und wir sollten über spirituelle Fragen in Zeitungen publizieren. Kaum einer interessiert sich für katholische Kernthemen wie die Sakramentenlehre. Aber Fragen wie „Was ist katholische Spiritualität?“ oder „Was heißt katholische Soziallehre?“ stoßen auf Interesse.
Frage: Als Antwort auf den russischen Angriffskrieg haben Schweden und Finnland einen Beitritt zur NATO beschlossen. Wie finden Sie das?
Arborelius: Als Christ bin ich Pazifist. Aber selbstverständlich begrüße ich den Entschluss. Putins Krieg zeigt, dass wir leider ohne Waffen und ohne eine starke Verteidigung aufgeschmissen sind. Von daher ist es nur konsequent, dass wir der NATO beitreten. Wichtig ist mir, was auch Papst Franziskus stets betont: Wir dürfen nicht in ein Wettrüsten verfallen. Denn davon profitieren nicht die Menschen, sondern nur die Rüstungsindustrie.