Jahrestagung Weltkirche und Mission 2014
Würzburg ‐ Das Jahr 2015 ist die Zielmarke der Millenniumsentwicklungsziele. Was wurde erreicht, wie geht es weiter? Auf der Jahrestagung Weltkirche und Mission 2014 wurde Bilanz gezogen.
Aktualisiert: 18.11.2022
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Die Jahrestagung Weltkirche und Mission 2014 fand vom 16. bis 18. Juni in Würzburg statt. Unter dem Motto „Entwicklung in Nord und Süd – Ziele bestimmen, Zukunft gestalten“ widmete sie sich den Millenniumsentwicklungszielen und der Frage, wie es nach dem Jahr 2015 weitergeht.
Tagungsdokumentation
Die Dokumentation der Jahrestagung Weltkirche und Mission 2014 können Sie hier als PDF herunterladen:
„Die Armen haben keine Zeit zu warten!“
Würzburg ‐ Erzbischof Dr. Ludwig Schick (Bamberg) fordert die Bundesregierung auf, mehr gegen den Hunger in der Welt zu tun. „Dem Millenniumsentwicklungsziel , die Armut in der Welt bis zum Jahr 2015 zu halbieren, müssen weiter alle Anstrengungen gelten. Es ist ein Skandal, dass Menschen hungern, obwohl genug für alle da ist“, sagte er auf der Jahrestagung Weltkirche und Mission 2014 , die vom 16. bis 18. Juni zum Thema „Entwicklung in Nord und Süd – Ziele bestimmen, Zukunft gestalten“ in Würzburg stattfand. Zugleich appellierte er dafür, keine Lebensmittel wegzuwerfen und den Raubbau an der Natur durch eine neue Genügsamkeit zu ersetzen.
Vertreterinnen und Vertreter der weltkirchlichen Arbeit in Deutschland richteten bei der Jahrestagung ihren Blick auf die globale Entwicklungsagenda . „Jegliche Form der Exklusion sowie der Marginalisierung des Menschen durch den Menschen sind unvereinbar mit der grundlegenden christlichen Gotteserfahrung“, unterstrich Bischof Dr. Norbert Strotmann aus Lima. Angesichts der immer stärker werdenden Verflechtung zwischen Nord und Süd, des Klimawandels , globaler Krisen und abnehmender natürlicher Ressourcen müsse die Frage nach einem guten Leben für alle Menschen neu gestellt werden.
Frau Dr. Imme Scholz, stellvertretende Direktorin des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik, skizzierte die internationale Debatte um ein zukunftsfähiges Modell des globalen Zusammenlebens. Darin müsse die Wirtschaft in ihre ökologischen Grenzen zurückgeführt werden. Sie betonte, dass die Perspektive der Entwicklungsländer stärker berücksichtigt werden müsse.
Menschenrechte als Basis der künftigen Entwicklungsagenda
Die Teilnehmenden der Jahrestagung waren sich einig, dass die Menschenrechte in der künftigen Entwicklungsagenda zu verankern seien. Sie hoben dabei das besondere Potenzial der Kirche als Global Player hervor. Die Kirche könne dazu beitragen, die zukünftigen Entwicklungsziele unter stärkerer Beteiligung der Zivilgesellschaft im Norden und im Süden zu definieren und dabei die Perspektive der Armen und Ohnmächtigen einbringen. Gerade in den Industrieländern sei eine Orientierung am Leitbild der ökologischen Nachhaltigkeit geboten.
Der Apostolische Nuntius, Erzbischof Dr. Nikola Eterović, erinnerte an die Beiträge des Heiligen Stuhls zur zukünftigen internationalen Entwicklungszusammenarbeit. „Allen ist bekannt, wie wichtig dem Papst die Sorge um eine bessere Entwicklung in der Welt ist – eine Entwicklung, welche die großen Unterschiede vermindert und nicht weiter vertieft.“ Papst Franziskus schlage nichts weniger als einen Richtungswechsel vor, der die menschliche Person ins Zentrum aller politischen und ökonomischen Entscheidungen stelle. „Wir haben zwar eine wirtschaftliche Krise in Europa, aber die Armen dieser Welt haben keine Zeit zu warten.“ Besondere Sorge gelte der jungen Generation, aber auch den Menschen an ihrem Lebensende.
Bundesregierung hält am 0,7-Prozent-Ziel fest
Mit Blick auf die Zusammenarbeit zwischen der Bundesregierung und zivilgesellschaftlichen Akteuren in Deutschland verwies der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), Thomas Silberhorn, auf die Zukunftscharta des Ministeriums. Ziel dieser Zukunftscharta sei es, die Kompetenzen von Nichtregierungsorganisationen, Kirchen und Privatpersonen in die Diskussion um die Post-2015-Agenda einzubinden.
Silberhorn versicherte ausdrücklich, die Bundesregierung halte an dem Versprechen fest, 0,7 Prozent des Bruttoinlandproduktes für die Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung zu stellen.
Zum Abschluss der Jahrestagung formulierten die weltkirchlichen Akteure konkrete Handlungsoptionen in den Bereichen Ernährung, Gesundheit, Arbeit und Klimaschutz. Erzbischof Schick resümierte, dass die künftige Entwicklungsagenda ökologische, soziale, ökonomische und kulturelle Aspekte gleichermaßen berücksichtigen müsse.
Entwicklung braucht Orientierung
Würzburg ‐ Entwicklung in Nord und Süd – Ziele bestimmen, Zukunft gestalten“ so lautet das Thema der 3. Jahrestagung der Konferenz Weltkirche, die heute in Würzburg eröffnet wurde. Mit der Wahl dieses Themas leistet die Tagung einen Beitrag zur aktuellen Debatte um eine zukünftige Entwicklungsagenda, die im Zugehen auf das Jahr 2015, der Zielmarke der UN-Millenniumsentwicklungsziele, weltweit geführt wird.
Dass es bei der künftigen Agenda nicht einfach um eine Fortschreibung der Ziele in der bisherigen Logik gehen kann, machte Msgr. Pirmin Spiegel, Hauptgeschäftsführer von Misereor, in seinem Eröffnungsstatement deutlich: „Es braucht einen ‚Auf-Bruch‘. Womit müssen wir brechen, damit gutes Leben – eine Zukunft für alle Menschen möglich wird?“ Es reiche nicht einfach aus, den Süden zu verändern oder den Norden – es brauche eine gemeinsame Veränderung zugunsten aller, stellte Spiegel fest und unterstrich die ethischen Dimensionen dieser Fragestellung, zu der die Kirche einen wichtigen Beitrag leisten könne, denn „Entwicklung braucht Orientierung“.
Wo stehen wir in der internationalen Debatte?
Dr. Imme Scholz vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik gab in ihrem Eröffnungsreferat Einblicke in die vielfältigen Fragestellungen und auch Streitpunkte, die die internationalen Überlegungen zu einer Post-2015-Agenda prägen: Wie kann es gelingen, Entwicklung zu fördern ohne den Ressourcenschutz zu vernachlässigen? Wo braucht es verstärkt globale Einigungen und wo reicht lokales Management? Was bedeutet die Forderung einer „Kultur des Maßhaltens“ für die, deren Lebensverhältnisse relativ gesichert sind und was für die, die nicht genug zum Leben haben?
Engagiert mahnte die Referentin an, die seit der Beschreibung der Millenniumsziele veränderten Rahmenbedingungen in den Blick zu nehmen, wie etwa eine Umverteilung wirtschaftlicher Macht durch die rasanten Entwicklungen in China oder Indien oder die signifikanten Steigerungen von Direktinvestitionen von Entwicklungsländern in Entwicklungsländern. Entscheidend sei auch, dass eine künftige Agenda nicht primär oder gar ausschließlich entwicklungspolitisch verortet sein dürfe – vielmehr erfordern künftige Entwicklungsziele ressortübergreifende Perspektiven und Anstrengungen.
Agrarkultur versus modernisierte Mega-City
Auf dem Hintergrund jahrzehntelanger pastoraler Erfahrungen in Lateinamerika skizzierte anschließend Bischof Dr. Norbert Strotmann aus der Diözese Chosica im Osten der peruanischen Hauptstadt Lima sein Verständnis von Entwicklung. Er stellte die Lebensbedingungen auf dem Land in einer Agrarkultur, wo „man sich kenne und von und mit der Natur lebe“, denen in der Großstadt gegenüber, die von Anonymität und Unübersichtlichkeit geprägt sei. Die große Mehrheit der Menschen in Chosica habe einen Migrationshintergrund und kenne beide Welten. Die karge Situation auf dem Land, aber auch das „Attraktivitätspotential“ der modernen Gesellschaft habe sie in die Großstadt gezogen.
Wichtig ist dem Bischof, dass die Wertigkeit des Menschen nicht von seiner Entwicklungssituation abhänge. Vielmehr realisiere sich der Lebenssinn erst im Dienst am Nächsten und so sei Entwicklungsarbeit für ihn selbstverständlich Teil der Pastoral. Kirche müsse immer mehr ein gesellschaftlich relevanter Gesprächspartner werden und nicht nur mit binnenkirchlicher Perspektive auf sich selbst schauen, so Strotmann. „Wir möchten Spitze-sein im Da-sein für andere.“ bringt er diese Perspektive abschließend auf den Punkt.
Wie schon in den letzten Jahren folgt auch diese Tagung dem bekannten Dreischritt „Sehen – Urteilen – Handeln“. Zum ersten Schritt lieferten die Beiträge dieses Tages eine solide und zugleich engagierte Grundlage, die sich der Herausforderung und Notwendigkeit eines großen Agenda-Entwurfs stellt. Zugleich wurden aber auch die kleinen und lokalen Schritte, an denen sich nicht minder die Zukunftsfähigkeit eines solchen messen lassen muss, nicht vernachlässigt.
Auf diesem Hintergrund gewinnt auch die Frage „Wie sind Sie denn nach Würzburg angereist?“, mit der ich zu Beginn der Veranstaltung begrüßt wurde, eine tiefere Bedeutung, weist sie doch bereits auf den Schritt des Handelns hin: So ist die Klimakompensation dieser Tagung von Anfang an fest eingeplant. Eine gute Entscheidung des Tagungspräsidiums, die ich gerne mittrage und auch vielen anderen kirchlichen Veranstaltungen wünsche, die diesen Aspekt meiner Erfahrung nach noch zu oft vernachlässigen. Und so machen die Beiträge und Akzente dieses Tages neugierig auf die weitere Diskussion und die notwendigen großen und kleinen Handlungsimpulse, die am Ende der Veranstaltung stehen sollten.
Von Andrea Tröster, Missio-Diözesanreferentin, Trier
Zur positiven Überforderung christlicher Weltbürger
Würzburg ‐ Auf der Jahrestagung „Weltkirche und Mission“, die unter dem Titel „Entwicklung in Nord und Süd – Ziele bestimmen, Zukunft gestalten“ in Würzburg stattfindet, trifft sich zurzeit das Who’s Who der deutschen weltkirchlichen Arbeit. Auf dem ambitionierten Programm steht nicht nur die Klärung der Sachlage rund um die gegenwärtigen politischen Prozesse, die zu einer neuen Entwicklungsagenda führen sollen. Vielmehr soll eine (Selbst-)Vergewisserung der kirchlichen Position stattfinden, um bei der Verabschiedung einer „Post-2015-Entwicklungsagenda“ aktiv und bestimmend mitwirken zu können.
Dass es einer solchen kirchlichen Aktivität unbedingt bedarf, ging aus den Beiträgen der heutigen Referenten deutlich hervor: Professor Michael von Hauff, Volksökonom an der Technischen Universität Kaiserslautern, nannte das Beispiel einer lobbyistischen Einflussnahme der Industrie auf politische Entscheidungsprozesse in Deutschland, die eigentlich zu einer Weiterentwicklung von Standards für eine nachhaltige Entwicklung führen sollten. Dadurch wurde eine Relativierung des wirkmächtigen Indikators „Bruttoinlandsprodukt“ (BIP) verhindert, der die Programmatik der „nachhaltigen Entwicklung“ einseitig auf neoklassische Wachstumsszenarien reduziert. Man sieht hieran, dass die Vereinbarung eines vernunftgeleiteten Folgeabkommens für die UN-Millenniumsziele durch die massive Einflussnahme interessengeleiteter Gruppierungen gefährdet ist, was zugleich auch jede Vorstellung einer demokratischen Partizipation auf den Kopf stellt.
Menschenrechte als zentrales Fundament der künftigen Entwicklungsagenda
Dem hat die katholische Kirche – wie aus den weiteren Beiträgen hervorging – doch so einiges entgegenzustellen, und zwar sowohl qualitativ als auch quantitativ: Professor Michael Reder von der Hochschule für Philosophie in München verwies auf die Menschenrechte, die mit den Dimensionen der Freiheit, Gleichheit, Solidarität und Partizipation ein zentrales Kriterium für die Bestimmung neuer MDGs und SDGs darstellen können. Obgleich die Menschenrechte in unserem heutigen Verständnis einem kontingenten Entstehungsprozess unterworfen waren, der nicht ohne zahlreiche Unrechtserfahrungen verständlich wird, ist mit ihnen ein universaler Geltungsanspruch verbunden. Aus christlicher Perspektive rekurriert dieser Geltungsanspruch auf der Vorstellung der Gottebenbildlichkeit aller Menschen.
Kirche als Global Player
Neben diesem qualitativ unterscheidenden Kriterium kann die Kirche auch quantitativ eine „korrektive“ Einflussnahme auf die Neuformulierung der UN-Entwicklungsziele geltend machen: Sie ist eine globale Institution, die auf ein feingliedriges Netzwerk motivierter (welt-)kirchlicher Akteure zurückgreifen kann, was man in Würzburg sehr deutlich sehen konnte. Die Aktivitäten der Kirche für eine nachhaltige Entwicklung sind bereits heute weit gespannt und reichen von der Finanzierung afrikanischer Bildungseinrichtungen bis zur Etablierung von Fair trade-Verträgen beim Import von Lebensmitteln aus Lateinamerika.
Es ist nun also an der Zeit, diese Aktivitäten zu bündeln und die eigenen kirchlichen Vorstellungen einer nachhaltigen Entwicklung, die sich in der Sprache der Menschenrechte ausdrücken lassen, in die Weltpolitik einzubringen. Und mit der Weltpolitik – so darf man im Zeitalter der Globalisierung wohl sagen – lässt sich bereits in Wanne-Eickel oder in Deggendorf beginnen. Eine zugegeben unbequeme Einsicht, die die Jahrestagung 2014 (wieder einmal) ins Bewusstsein brachte.
Von Roman Beck, Institut für Weltkirche und Mission