Nice to meet you: Schwester Daphne
Unser Traum ist eine Welt, in der Mann und Frau gleichberechtigt sind“. Mit dieser Vision gründete die indische Sacré-Coeur-Schwester Daphne Sequeira vor nunmehr zehn Jahren nördlich von Pune im Dorf Bhokar das Frauenzentrum Ashankur – „Samenkorn der Hoffnung“. Inmitten eines Klimas von Unterdrückung, Diskriminierung und Misshandlung verhalf sie mit Unterstützung der Jesuitenmission tausenden Mädchen und Frauen zu einem neuen Start ins Leben. Auch das zweite Projekt der engagierten Ordensfrau in Torpa treibt bereits erste Früchte. Am 25. Juli 2013 war sie Gast in der Reihe „nice to meet you“ der Jesuitenmission, Nürnberg, um über die Situation der Frau in Indien und ihre beiden Projekte zu sprechen.
Aktualisiert: 04.01.2023
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Hilfe zur Selbsthilfe
„Ein eigenes Bankkonto, eine bezahlte Arbeit oder gar ein Führerschein – für viele Frauen in Indien sind diese Dinge bis heute unvorstellbar“, beschreibt Schwester Daphne die Situation. Insbesondere die ländlichen Gebiete des asiatischen Subkontinents seien strikt patriarchalisch geordnet, die Frauen nahezu entrechtet. Sie erhielten weder Schulbildung noch Zugang zur Gesundheitsversorgung. „Sie leben in einem ständigen Zustand der Abhängigkeit, aus dem sie sich alleine nicht befreien könnten“, fasst sie zusammen. Missachtung und Gewalt seien oftmals die traurige Konsequenz.
„Es ist die Denkweise der Menschen, die sich ändern muss!“
Vorurteile und die traditionell starren Rollenverteilungen zwischen den Geschlechtern macht Schwester Daphne mitunter für diese prekäre Situation verantwortlich. Daher ist sie sich sicher: „Es ist die Denkweise der Menschen, die sich ändern muss!“
Aus diesem Grund gründete sie das Großprojekt Ashankur – ein Ort, der weit mehr sein wollte als eine Zufluchtsstätte für misshandelte Frauen. Sie sollten sich nicht verstecken, sondern lernen zu handeln, sozial, wirtschaftlich und politisch auf Augenhöhe am Familienleben und auch am Aufbau der Gesellschaft teilhaben. Das Konzept: Hilfe zur Selbsthilfe.
Ashankur bietet den Frauen die Möglichkeit, eine grundlegende Schulbildung nachzuholen und in Seminaren einen Beruf zu erlernen. Schneidern, Computerkurse oder Krankenpflege sind nur einige der Ausbildungen, die mit der finanziellen Hilfe der Jesuitenmission angeboten werden konnten. „Man kann sehen, wie ein neues Selbstbewusstsein heranwächst, wenn die Frauen ihren Wert für die Gesellschaft und die Familie erkennen“, berichtet die Ordensschwester.
„Man kann sehen, wie ein neues Selbstbewusstsein heranwächst, wenn die Frauen ihren Wert für die Gesellschaft und die Familie erkennen.“
Außerhalb des Zentrums betreut und organisiert Schwester Daphne Selbsthilfegruppen vor Ort in den einzelnen Dörfern. Sie klärt die Frauen über ihre Rechte auf, hilft bei Ämter- und Behördengängen. Innerhalb dieser Gruppen unterstützen sich die Frauen gegenseitig. Aus einem gemeinsam ersparten Geldtopf können günstige Kredite gezogen und eigene Geschäfte aufgebaut werden. Und auch privat ist man füreinander da.
Ihre jahrelange Arbeit hat weite Kreise gezogen und läuft in soliden Bahnen. Immer häufiger treten Frauen von sich aus an die Ordensschwester heran, suchen ihren Rat, bitten um Unterstützung. Über 7000 Frauen in 22 Dörfern konnte auf diese Weise bereits eine neue Zukunftsperspektive eröffnet werden.
Grund genug für Schwester Daphne, sich vor drei Jahren an ein neues Projekt heranzuwagen. Die Leitung von Ashankur hat sie einer Mitschwester übertragen, um im Norden Indiens wiederum Pionierarbeit zu leisten.
Schule existiert nur auf dem Papier
In Torpa im Bundesstaat Jarkhand wohnen hauptsächlich Tribals, die Ureinwohner Indiens. Ihre gesellschaftliche Ordnung unterscheide sich sehr von anderen Teilen Indiens, erklärt die Ordensfrau. Es gäbe kein Kastenwesen und die Frauen würden dort weit mehr als Teil des Stammes respektiert. Der Handel allerdings erfolge noch in weiten Teilen über Tauschgeschäfte. Es mangele an grundlegender Bildung und einer medizinischen Grundversorgung. Die Menschen würden systematisch ausgebeutet und an den Rand gedrängt. Trotz vieler Bodenschätze herrsche bittere Armut.
„Schule existiert nur auf dem Papier“, berichtet Schwester Daphne, „hin und wieder schickt die Regierung Lehrer in diese Region, die bleiben aber nur ein paar Wochen“. Die Eltern könnten ihren Kindern nicht helfen, Lesen und Schreiben hätten sie selbst nie gelernt, fügt sie an. Auch hier zeigte sie den Bewohnern Mittel und Wege, sich selbst zu organisieren und ermutigte sie, ihre Rechte bei den staatlichen Behörden einzufordern. Mittlerweile unterrichten ältere Schüler Jüngere. Jeder, der einen Beitrag leisten kann, ist in den provisorischen Klassenzimmern willkommen. In Gruppen übernimmt man gemeinsam die Kinderbetreuung und Ausbildung. Auch die Gesundheitsversorgung habe sich seither deutlich verbessert, meint sie.
Zum Projekt
Eine ausführliche Projektbeschreibung, Fotos und Videos zu Schwester Daphnes Frauenzentrum finden Sie auf der Webseite der Jesuitenmission:Ein wiederbelebter Wirtschaftszweig ist wohl der bisher größte Erfolg der noch jungen Unternehmung. Der besondere Baumbestand der Region eignet sich in herausragender Weise zur Produktion von Lack-Harzen. Diese werden in beinahe allen Industriezweigen benötigt. Seit vielen Jahren hatten sich die Tribals bereits aus der Produktion zurückgezogen und sie auswärtigen Firmen überlassen. Schwester Daphne belebte diesen Zweig neu. Aus einem Hilfsprogramm der Regierung konnte den Bewohnern Material und das entsprechende Know-how zur Verfügung gestellt werden, um ihr altes Geschäft neu zu starten. Erste zaghafte Schritte aus der Armut und Unterdrückung sind damit gemacht.
Bleibt abzuwarten, was die engagierte Ordensschwester als nächstes plant. Ihr Konzept – den Menschen durch Aufklärung und Bildung eine Starthilfe Richtung Unabhängigkeit zu geben – scheint sich als sehr erfolgreicher Weg zu erweisen.
Von Tanja Haydn