
„Beten, dass es keinen Krieg gibt“
Die Situation auf der Krim geht den Menschen langsam an die Substanz.“ Was Piotr Rosochacki am Dienstagnachmittag aus Simferopol erzählt, klingt nach Chaos auf der Halbinsel, die am Vortag zum unabhängigen Staat ausgerufen wurde. „Die ukrainische Hauptbank hat geschlossen. Menschen kommen nicht mehr an ihr Geld, die Währung verliert an Wert und gleichzeitig steigen die Preise für Lebensmittel“, fasst der aus Polen stammende Priester für katholisch.de zusammen.
Aktualisiert: 17.01.2023
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Rosochacki arbeitet seit sechs Jahren auf der Krim und betreut zusammen mit zehn weiteren römisch-katholischen Priestern und einem Weihbischof die rund 1.000 Gläubigen. Die knapp 97 Prozent der Stimmen für die Wiedervereinigung mit Russland bezeichnet er als „unechtes Ergebnis“. Die Situation auf der Halbinsel sei komplizierter, als es die Zahlen darstellen würden: Es gebe muslimische Tataren, Ukrainer, deutsch- und polnischstämmige Menschen – und nicht nur Russen. Das Bild in der Öffentlichkeit werde aber schon dadurch verfälscht, dass es nur noch russisches Fernsehen gebe, so der Geistliche. Es machten sich bereits jetzt viele Menschen auf den Weg Richtung Westukraine oder sogar ins Ausland.
Im Westen des Landes bereitet man sich unterdessen darauf vor, die Flüchtigen von der Krim aufzunehmen. „Alle Ukraine-treuen Familien werden die Halbinsel verlassen, weil sie sich unsicher fühlen“, sagt Mykhailo Klapkiv. Der griechisch-katholische Bischofsvikar mit Sitz in Iwano-Frankiwsk, einer Universitätsstadt mit 220.000 Einwohnern, nennt die ukrainischen Soldaten und deren Familien als Beispiel. „Sie werden aus der Krim in den Westen zurückkehren.“ Für die Soldaten – aber auch für alle anderen Flüchtlinge – will er mit einer Ambulanz für kostenlose Behandlung sorgen und für den Übergang ein Hotel bereitstellen. Egal ob Katholiken oder Tataren: Man wolle Hilfe bieten, so der Bischofsvikar.
Menschen in der Westukraine sind schockiert
Die Menschen im mehrheitlich proeuropäischen Westen seien schockiert über all die Ereignisse, so Klapkiv. Seit vier Monaten gebe es jeden Tag so viele Veränderungen und es scheine immer schlimmer zu werden. „Sie finden wohl keinen Ukrainer, der nicht Kopfschmerzen von all dem hat.“ Für den 33-jährigen Geistlichen sei die Krim bereits „verloren“. „Jetzt ist es wichtig, dass wir die Ost- und Südukraine behalten“, betont er. Im Osten gebe es jedoch täglich prorussische Proteste.

„Das ist ein willkommenes Zeichen für Putin“, sagt Klapkiv. Der russische Präsident deute die Proteste als Zeichen der Angst und als Willen, an die Föderation angegliedert zu werden. „Seine Strategie ist dieselbe, die Hitler 1938 hatte“, wagt der Bischofsvikar einen drastischen Vergleich. Auch der habe behauptet, die Tschechoslowaken hätten Angst und bräuchten die Befreiung.
Von der Krim aus will sich der Pole Rosochacki nicht so deutlich zur Politik äußern: „Wir als Kirche können nur beten, dass es keinen Krieg gibt – und hier bleiben“. Denn die römisch-katholische Kirche gebe es überall auf der Welt. Wenn der Staat es nur irgendwie erlaube, gelte das auch für die Krim. Von dem bisherigen Verhalten der EU und der USA sind beide Geistliche enttäuscht. Wenn Rosochacki sagt, dass er auf eine Reaktion und Hilfe aus Europa warte, ist klar, was er von der Wirksamkeit der bisherigen Sanktionen hält.
Hilfsgüter gelangen nur noch unzureichend über die Grenze
Der polnische Geistliche hat ganz konkrete Probleme zu lösen. Hilfsgüter gelangten nur noch unzureichend über die Grenze. Und an den Kontrollen werde den Menschen das Bargeld abgenommen. Seine einzige Möglichkeit, auf der Krim materiell zu helfen, seien polnische Konten mit Spenden aus dem Ausland. Von denen schöpft er in Simferopol, um die notwendigen Güter wie Lebensmittel oder Medikamente zu kaufen.
Auch Klapkiv glaubt, dass sein Land viel mehr an materieller, finanzieller und militärischer Unterstützung braucht. „Alleine können wir nichts machen“, sagt er und verweist darauf, dass die unterfinanzierte ukrainische Armee den Russen hoffnungslos unterlegen sei. Auf das Referendum bezogen sagt er, dass Kritik daran alleine nicht reiche: „Es hätte verhindert werden müssen.“
Von Agathe Lukassek