Helfen will gelernt sein

Helfen will gelernt sein

Entwicklungshelfer ‐ Martin Vehrenberg ist stellvertretender Geschäftsführer der katholischen Arbeitsgemeinschaft für Entwicklungshilfe (AGEH). In einem Gastbeitrag schildert er, welche Gefahren Helfer bei Auslandseinsätzen erwarten und wie sie sich davor schützen.

Erstellt: 08.12.2014
Aktualisiert: 12.07.2015
Lesedauer: 

Laute aggressive Stimmen hallen über einen Hinterhofparkplatz in Köln-Deutz. Zwei bewaffnete maskierte Männer zwingen die Insassen eines PKW auszusteigen und sich auf den Boden zu setzen. Eine Gruppe beobachtet die Szene aus sicherer Entfernung. Filmaufnahmen? Nein, Entwicklungshelfer der katholischen Arbeitsgemeinschaft für Entwicklungshilfe (AGEH) e. V. bereiten sich in einem Sicherheitstraining auf ihre Mitarbeit im Ausland vor und üben das Verhalten bei einem Überfall auf der Straße.

Die AGEH vermittelt im Auftrag weltkirchlicher und entwicklungspolitischer Organisationen, wie Caritas , Misereor und das Kindermissionswerk , Entwicklungshelfer in verschiedene Länder. Meist arbeiten sie dann bei kirchlichen Partnerorganisationen in Afrika, Asien und Lateinamerika, aber auch in Hochrisikoländer wie Afghanistan, dem Südsudan oder aktuell Liberia und Sierra Leone. Die Entwicklungshelfer der AGEH werden überwiegend als sogenannte integrierte Fachkräfte bei den einheimischen Partnern tätig, sie werden also für die Zeit ihres Dienstes Mitarbeiter der jeweiligen Partnerorganisation.

Entwicklungshelfer leben meistens nicht gefährlicher als ihre einheimischen Kollegen. Aber wer im Entwicklungsdienst tätig wird, begibt sich in der Regel für einige Jahre in ein neues und meist völlig fremdes Lebens- und Arbeitsumfeld mit einem höheren Gefahrenpotential als in Deutschland. Meist denken wir dabei an Gewaltrisiken wie Terrorakte , Entführung, Bürgerkriege und Kriminalität und tropische Krankheiten wie Ebola , Malaria oder Denguefieber. Tatsächlich kommen aber mehr Entwicklungshelfer durch Alltagsrisiken, wie Verkehrs- und Haushaltsunfälle, zu Schaden. Nicht zu unterschätzen ist auch die Gefahr, durch die Kombination von Arbeitsüberlastung und schwierigen und ungewohnten Lebensumständen einen sogenannten Burnout zu erleiden.

Bild: © AGEH/Eberhard Weible

Unterschiede zum Militär

Viele Entwicklungsorganisationen bieten ihren Mitarbeitern daher mittlerweile die Teilnahme an Sicherheitstrainings an. Bei der AGEH ist die Teilnahme an einem achttägigen Sicherheitstraining ebenso verpflichtender Bestandteil eines umfassenden Sicherheitskonzeptes wie die Ausarbeitung von Sicherheitsplänen mit der Partnerorganisation vor Ort und eine umfassende soziale Absicherung. Mitausreisende Familienangehörige sind in soziale Absicherung, Vorbereitung und Sicherheitsmanagement eingebunden. Im Vorbereitungstraining erhalten die Teilnehmenden unter anderem eine Einführung in die Entwicklung eigener Sicherheitspläne für die Zeit vor Ort, eine Auffrischung in Erster Hilfe, ein Stressmanagementtraining und Informationen über das Verhalten in Krisenfällen. In Simulationen üben die Entwicklungshelfer das Verhalten in möglichen Gewaltsituationen. Dazu gehört neben Belästigungen und Überfällen auch das Szenario einer Entführung. Mittlerweile nehmen an den Sicherheitskursen der AGEH auch viele Mitarbeiter anderer Entwicklungsorganisationen teil.

Doch was unterscheidet die Entwicklungshelfer der AGEH hinsichtlich ihrer Sicherheit von internationalem Personal des Militär, der Medien und der Wirtschaftsunternehmen, die in denselben Ländern mit ihren jeweiligen Gefahren tätig werden? Entwicklungshelfer integrieren sich meist sehr weitgehend in die einheimische Gesellschaft, selbst wenn sie sich häufig durch ihren höheren Lebensstandard und ihre andere Hautfarbe weiterhin von der breiten Masse der Bevölkerung abheben. Sie arbeiten oft basisnah und in politisch sensiblen Bereichen und sind damit auch oft ungeschützter. Sicherheitsmöglichkeiten sind begrenzt; oft reicht das Geld nicht oder verstärkte Sicherheitsvorkehrungen würden die Freiwilligen zu sehr von den anderen abgrenzen.

Bild: © AGEH

Mehr Schutz durch Nähe zur Bevölkerung

Aber die genannten Aspekte bieten für die Entwicklungshelfer auch Vorteile für ihre Sicherheit. Ihre starke soziale und berufliche Einbindung in die einheimische Partnerorganisation und ihr solidarischer, humanitärer Auftrag bieten ihnen Schutz, während ausländische Militärs und Unternehmen von der Bevölkerung nicht selten als Fremdkörper und möglicherweise feindlich oder zumindest unerwünscht wahrgenommen werden.

Schutz und Sicherheit betreffen aber nicht nur jeden einzelnen Helfer, sondern sind eine Gemeinschaftsarbeit. Es geht darum, dass Entwicklungshelfer und einheimische Kollegen als Teil ihrer täglichen Arbeit Gefahren und Risiken gemeinsam einschätzen und Vorkehrungen treffen. Das betrifft sowohl Fragen der Verkehrssicherheit von Fahrzeugen, Bedrohungen durch Terrorismus wie zum Beispiel in Nigeria oder Kenia oder der Schutz vor einer Malaria- oder Ebolainfektion. Nur als Teamwork kann Prävention funktionieren; dazu gehört die sorgfältige Vorbereitung von Überlandreisen oder das Befolgen von Sicherheitsregeln. Nur gemeinsam können Krisen und Notfälle bewältigt werden.

Wichtige Fragen müssen gemeinsam beantwortet werden

Die Sicherheit eines Entwicklungshelfers steht in einem engen Zusammenhang zum Sicherheitsmanagement der Partnerorganisation und zur Sicherheit der einheimischen Kollegen. Wichtige Fragen müssen gemeinsam beantwortet werden: Haben wir ein gemeinsames Bild über die Gefahren und ihre Ursachen? Welche Maßnahmen sind geeignet, um Risiken und ihre möglichen Folgen zu verringern? Welche Maßnahmen sind für uns denkbar und realisierbar oder scheitern zum Beispiel schon allein an den finanziellen Möglichkeiten? Denn aufwändige Kommunikations- und Sicherheitstechnik oder gepanzerte Fahrzeuge und bewaffnetes Wachpersonal sind für uns grundsätzlich tabu.

Bild: © AGEH/Eberhard Weible

Auch der Unterschied zwischen Entwicklungshelfer und einheimischen Kollegen muss in der Vorbereitung offen thematisiert werden. Während der Helfer im Notfall auf Kosten der Versicherung mit einem Ambulanzflug evakuiert werden kann, bleiben seine einheimischen Kollegen in aller Regel auf die lokalen Versorgungsmöglichkeiten angewiesen. Wenn ein Bürgerkrieg ausbricht, wird der Entwicklungshelfer das Land häufig vorübergehend oder für immer verlassen, der einheimische Kollege bleibt. Nur wenn über solche Punkte offen gesprochen wird, bevor etwas passiert, können die Beteiligten in einem Notfall oder einer Krise mit diesem Dilemma im guten Sinne umgehen.

Krisenmanagementvorkehrungen und –übungen gehören daher zu unseren wichtigsten Aufgaben. Verantwortlichkeiten und Abläufe in Not- und Krisenfällen, zum Beispiel bei medizinischen Evakuierungen müssen im Bedarfsfall weitgehend reibungslos funktionieren.

Und was bewirken die getroffenen Maßnahmen, die Trainings, die Entwicklung der Sicherheitspläne vor Ort? Ein mehr an Sicherheit für die Entwicklungshelfer wird besonders dadurch erreicht, dass die Beteiligten vor Ort miteinander und voneinander lernen und ihr Verhalten kontinuierlich anpassen. Die Einführung der Sicherheitspläne haben dieses Lernen und Anpassen tatsächlich verstärkt. Für die Wirksamkeit der Trainings vor der Ausreise gibt es neben den sehr positiven Einschätzungen der Teilnehmer ein schönes Beispiel. Vor zwei Jahren wurde die Ehepartnerin eines Entwicklungshelfers in Lateinamerika Opfer einer sogenannten Blitzentführung. Das ist Kidnapping auf der Straße für einige Stunden mit dem Ziel, sehr schnell Lösegeld freizupressen. In diesem Fall konnte die Entführte aufgrund ihres Trainings deeskalierend auf die Entführer einwirken und so zu einem schnellen schadlosen Ende der Entführung beitragen.

Von Martin Vehrenberg

Zur Person

Martin Vehrenberg ist stellvertretender Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft für Entwicklungshilfe (AGEH) e. V. Als Fachdienst der deutschen Katholiken für Entwicklungszusammenarbeit vermittelt der Verein qualifizierte Fachkräfte in Entwicklungsvorhaben in Afrika, Asien, Lateinamerika und den Ländern Mittel- und Osteuropas.