
Furchtlos im Kampf gegen ein grausames Ritual
Tansania ‐ Eine ganze Region ist in Aufruhr: Einmal im Jahr beginnt im Norden Tansanias die „Beschneidungszeit“. Sie dauert einen Monat. Viele hundert Mädchen sollen sich dem grausamen Ritual unterziehen. Eine engagierte Frauenrechtlerin und ein Bischof stellen sich dem entgegen.
Aktualisiert: 16.10.2015
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Im Dezember ist es wieder soweit. Wenn in Tansania die Felder abgeerntet und die Schulen geschlossen sind, beginnt mitten in der Regenzeit die grausame Tradition der weiblichen Beschneidung. Glück und Wohlstand soll dieses Ritual über die Familien bringen, prophezeien die Stammesältesten. Nicht nur akzeptierte Mitglieder der Gesellschaft seien die Mädchen dann, sondern das von ihnen ins Erdreich tropfende Blut bringe auch reiche Ernte. Längst aber glauben nicht mehr alle daran. Hunderte von Mädchen, die nicht Opfer dieses Rituals werden wollen, versuchen ihm zu entkommen. Zuflucht finden sie bei der katholischen Kirche.
„Jipe Moy“ (Fass' Dir ein Herz) heißt das Camp, das normalerweise als Schule dient und seit 2006 zur Schutzzone für Mädchen geworden ist. Regina Andrea Mukama, von allen nur „Mama Regina“ genannt, ist zu ihrer Vorkämpferin geworden. Die 65-Jährige, selbst Mutter von sechs Kindern, engagiert sich als Mitarbeiterin der katholischen Diözese Musoma gegen die Genitalverstümmelung. Mit Bischof Michael Msonganzila steht ihr ein starker Verbündeter zur Seite. Seit er vor sieben Jahren ins Amt kam, setzt auch er sich für diese Mädchen ein. Als erster Bischof in Tansania, ja in Afrika, wie der 59-Jährige sagt. Sein Vorgänger riet „Mama Regina“ nur: „Seien Sie vorsichtig!“
Beschneidung als „big business“
Die weibliche Beschneidung ist nicht nur eine religiöse Feier, sondern auch ein „big business“. Schon Wochen vor dem Ereignis werden Eltern angehalten, Speisen herzurichten und eine Gebühr von zehn Euro für den Eingriff zu bezahlen. Die dafür ausgewählte Frau, die den Eingriff vornimmt, sieht von dem Geld nicht viel, wie der Bischof einmal von einer Beschneiderin erfuhr. Dafür die Stammesältesten.
„Sie bauen aber keine Schulen oder Kindergärten davon, sondern nutzen es für ihre eigenen Bedürfnisse“, weiß Msonganzila. Er dagegen setzt Mama Regina auf Bildung, damit die Mädchen früh aufgeklärt werden, und später auch das Rüstzeug haben, auf eigenen Füßen zu stehen.

„Diese Frau lebt für dieses Projekt“, würdigt der Bischof „Mama Regina“. Warum sie das macht? „Ich bin eine Frau“, lautet ihre Antwort. Sie selbst hat das grausame Ritual nicht am eigenen Körper erlebt, musste sich aber gegen eine andere Stammestradition wehren. Als ihr Mann gestorben war, sollte sie an ihren Schwager zwangsverheiratet werden. Von Menschen- oder gar Frauenrechten wusste sie nichts, heute streitet sie dafür. Demnächst soll eine zweite Schul- und Schutzeinrichtung für Mädchen entstehen, die, wie schon die erste, vom Internationalen Missionswerk Missio München im Rahmen der „Aktion Furchtlos“ mitgetragen wird.
Mama Regina ist Missio-Gast im Monat der Weltmission
Noch bis Ende Oktober sind „Mama Regina“ und ihr Bischof zu Gast in Bayern und erzählen im Rahmen des Missionsmonats von ihren Projekten. Sie verheimlichen auch nicht die tödlichen Gefahren der Genitalverstümmelung. Geht etwas schief, wird keine ärztliche Hilfe geholt. Dann werden die Mädchen auf die Straße oder in die Büsche geworfen und so aus der Gemeinschaft ausgeschlossen, weil Gott das so gewollt habe. Erneut ist es dann oft die katholische Kirche, die die Opfer in Krankenhäuser bringt.
Doch die Eltern davon zu überzeugen, dass sie sich dem Ritual für ihre Kinder verweigern, ist nicht leicht. Viele haben Angst, dass ihre Familien dann verflucht werden. Sie motivieren deshalb die Töchter zur Flucht, wenn die sich nicht selbst schon dazu entschieden haben. Die Stammesältesten haben das registriert und wollen nun oft schon Acht- oder Neunjährige beschneiden lassen.
Selbst wenn ein Mädchen den Eingriff überlebt, an ihrem Status ändert sich allen Vorhersagen zum Trotz nichts. „In vielen Staaten Afrikas sind Frauen zweitrangig. Wir versuchen hart zu arbeiten, aber unsere Arbeit wird als wertlos angesehen“, resümiert „Mama Regina“. Dabei sammeln sie Brennholz, kochen das Essen und halten das Heim sauber. Deshalb will die Afrikanerin weiter aufklären. Denn selbst ältere Frauen seien vor einer Beschneidung nicht sicher, wie eine 40-jährige Frau bei der Geburt ihres Kindes bitter erfahren musste.
Von Barbara Just (KNA)
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