Ausbildung statt Ausbeutung
Zentralafrika ‐ Ende des Monats zieht es Papst Franziskus in eine, wie er selber sagt, „gequälte“ Nation. Derzeit wird die Zentralafrikanische Republik erneut von einer Welle der Gewalt heimgesucht. Bischof Peter Marzinkowski wirkte dort mehrere Jahrzehnte als Missionar. Im Interview spricht er über die Rolle von Religion und Ethnie sowie die Schuld des Westens in dem Konflikt.
Aktualisiert: 15.11.2022
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Ende November (29.-30. November) will Papst Franziskus die Zentralafrikanische Republik besuchen - ein Land, das derzeit erneut von einer Welle der Gewalt heimgesucht wird. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) sprach mit Bischof Peter Marzinkowski (76), der dort mehrere Jahrzehnte als Missionar wirkte, über die Rolle von Religion und Ethnie und über die fortdauernde historische Schuld des Westens in dem Konflikt.
Frage: Herr Bischof, Kirchen- und Islamvertreter aus Afrika reden oft gegen den Begriff „religiöser Konflikte“ an, etwa in Nigeria oder im Sudan. Wie verhält es sich in der Zentralafrikanischen Republik? Auch da wird stets von der „muslimischen Seleka-Miliz“ und der „christlichen Anti-Balaka“ berichtet.
Marzinkowski: Das ist ein totaler Unsinn. Der Erzbischof der Hauptstadt Bangui war neulich gemeinsam mit einem befreundeten Imam in Deutschland, um den Aachener Friedenspreis entgegenzunehmen. Und er war hinterher richtig böse, weil ihm immer wieder dieselbe Frage gestellt wurde. Dieser vermeintliche Religionskonflikt ist eine Erfindung von hier.
Frage: Was ist also der Grund für die wieder aufflammende Gewalt in der Hauptstadt?
Marzinkowski: Erst mal geht es um Elend und Benachteiligung. Die meisten Menschen in Zentralafrika sind jung, ohne Bildung. Sie haben überhaupt keine Chancen. Wenn sie sich dann benachteiligt fühlen, und sei es von der Regierung oder bei einer Wahl, kann der Zorn irgendwo losbrechen. In diesen regionalen Milizen, die angeblich „muslimisch“ oder „christlich“ sind, kommen Verzweifelte zusammen, die sonst wenig verbindet. Schauen Sie sich doch die Pegida-Leute in unserem mehrheitlich christlichen Deutschland an. Sind das etwa „christliche Demonstranten“?
Frage: Das heißt, Sie sehen eher strukturelle Armut, akute Verzweiflung und die ethnische Herkunft hinter den Zusammenstößen.
Marzinkowski: Die tieferen Wurzeln der Konflikte sind ohne ein Bewusstsein für die Geschichte nicht zu verstehen. Die Kolonialmacht Frankreich hat in Äquatorialafrika ohne Rücksicht auf Ethnien agiert. Als sie Ende der 50er Jahre abtreten musste, sind Staaten ohne Nation entstanden. Viele Völker leben heute in einem Land zusammen, ohne dass sie sich überhaupt als eine Nation verstehen würden. Und wenn man eh chancenlos ist, dann fühlt man sich leicht von den diffusen anderen übervorteilt. Man muss nicht jede Ethnie dort kennen – aber man muss um die Geschichte wissen, um urteilen zu können.
Frage: Sie sprechen von einer historischen Verantwortung Europas.
Marzinkowski: Und nicht nur einer historischen. Armut in Afrika ist vom Westen gemacht – und der Westen hält Afrika bis heute bewusst in Armut und begünstigt lokale Konflikte, um seine eigenen Interessen zu wahren. Dafür gibt es viele Beispiele. Die Franzosen haben so viel Unheil in Afrika angerichtet; die Belgier und Portugiesen sowieso. Deutschland ist zum Glück sehr früh aus dem Rennen um die Kolonien rausgeflogen.
Frage: Und gibt es gar keine positiven Beispiele?
Marzinkowski: Die Engländer haben es nach meiner Wahrnehmung besser gemacht. Sie haben in ihren Kolonien Wert auf Ausbildung gelegt, Schulen gebaut. So konnten sie eine gebildete einheimische Bevölkerung später auch bei sich oder vor Ort einsetzen. In den französischen Kolonien fehlt davon jede Spur. Da ging es um Abschöpfen und Ausbeuten. Zu den Ergebnissen zählt auch die Hoffnungslosigkeit in den Ländern Zentralafrikas, die derzeit in Gewalt mündet.
Frage: Nun kommt der Papst nach Bangui. Kann die bloße Anwesenheit eines „Mannes des Friedens“ den Hebel umlegen – oder sind Sie eher pessimistisch?
Marzinkowski: Johannes XXIII. hat mal gesagt: Ich kenne keinen Pessimisten, der die Menschheit auch nur ein Stück vorangebracht hätte. Diesen Satz habe ich mir auch als Bischof immer zu Herzen genommen. Wir können natürlich nicht irgendwo hingehen und dort alle Probleme lösen. Aber wir können für die Menschen da sein und ihnen zeigen, dass wir ihr Freund sind. Dann haben wir schon viel gewonnen.
Frage: Mit der Öffnung einer symbolischen Heiligen Pforte will der Papst das „Jahr der Barmherzigkeit“ in Bangui vorzeitig eröffnen. Offiziell beginnt es ja erst am 8. Dezember. Er selbst sieht das als Geste der Verbundenheit der Kirche mit dem gequälten Land – und als Aufruf zur Versöhnung. Wird das verstanden werden?
Marzinkowski: Von den Kirchenführern und einigen Politikern sicherlich. In meiner früheren Diözese Alindao etwa sind aber die allermeisten Menschen Kakao- oder Baumwollpflücker. Sie waren noch nie in Bangui oder haben überhaupt nie das Gebiet ihrer Präfektur verlassen; da ist das doch ziemlich subtil. Aber der Papst besucht ja auch eine Moschee. Diese Geste wird sicher wahrgenommen.
Von Alexander Brüggemann (KNA)
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