„Die Umweltkrise ist auch eine moralische Krise“
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„Die Umweltkrise ist auch eine moralische Krise“

Klimakonferenz ‐ Am Montag startete in Paris der Weltklimagipfel. Stefan Tuschen von der Abteilung Politik und globale Zukunftsfragen des Hilfswerks Misereor begleitet das Geschehen vor Ort - und formuliert im Interview seine Erwartungen an den großen Auftrieb in der französischen Hauptstadt.

Erstellt: 02.12.2015
Aktualisiert: 02.12.2015
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Am Montag startete in Paris der Weltklimagipfel mit einer Zusammenkunft von rund 150 Staats- und Regierungschefs. Stefan Tuschen von der Abteilung Politik und globale Zukunftsfragen des Hilfswerks Misereor begleitet das Geschehen - und formuliert im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) seine Erwartungen an den großen Auftrieb in der französischen Hauptstadt.

Frage: Herr Tuschen, welche konkreten Erwartungen haben Sie an Paris?

Tuschen: Trotz allem und zuallererst eine Verpflichtung, um den CO2-Ausstoß spürbar zu drosseln und damit den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur zu bremsen.

Frage: Als Zielmarke werden immer zwei Grad genannt im Vergleich zur vorindustriellen Zeit.

Tuschen: Inzwischen ist bekannt, dass für einige Regionen und empfindliche Ökosysteme bereits bei einer Erwärmung von mehr als 1,5 Grad hohe Risiken bestehen. Die Welt muss sich zur Bewältigung der Klimakrise daher ehrgeizigere Ziele setzen.

Frage: Das meiste CO2 haben bislang die Industriestaaten in die Atmosphäre geblasen. Müssten sie nicht stärker in Vorleistung treten?

Tuschen: Ja. Sie sollten die ärmeren Länder bei der Anpassung an den Klimawandel und der Umsetzung alternativer, umweltfreundlicherer Entwicklungsmodelle unterstützen. Sie müssen also einerseits ihre Treibhausgasemissionen drastisch reduzieren, um die „ökologische Schuld“ gegenüber den ärmeren Ländern zu begleichen – und andererseits eine angemessene, kalkulierbare und zeitnahe Klimafinanzierung in den ärmeren Ländern sicherstellen.

Frage: Ein Blick auf den immer noch nicht gefüllten Grünen Klimafonds, in dem die Industrieländer ab 2020 genau für diese Zwecke 100 Milliarden US-Dollar jährlich bereitstellen wollen, zeigt: Versprechen kann man viel.

Tuschen: Deshalb fordern wir unter anderem, die in Paris gemachten Zusagen und Zielvorgaben alle fünf Jahre zu prüfen. Außerdem braucht es einen grundlegenden Wandel in der Energieversorgung.

Frage: Das heißt?

Tuschen: Einen kompletten Ausstieg aus der fossilen Energie bis 2050 zugunsten von erneuerbaren Energien, an denen auch die armen Länder des Südens teilhaben sollen.

Frage: Ist das nicht ziemlich unrealistisch?

Tuschen: Studien von Umweltbundesamt und Greenpeace zeigen für Deutschland auf, dass es mit den bereits jetzt bekannten technischen Mitteln wie Photovoltaik-Anlagen oder Wind- und Wasserkraft möglich ist, bis 2050 eine Treibhausgas-Neutralität zu erreichen.

Frage: Aber damit wäre immer noch nicht den Entwicklungsländern geholfen.

Tuschen: Genau deshalb sollten die Verhandlungen in Paris eine Reihe weiterer Themen einschließen; zum Beispiel den Zusammenhang zwischen Klimawandel und Hunger. Und dann sollten wir das wachstumsorientierte Wirtschaftsmodell hinterfragen.

Frage: Warum?

Tuschen: Das geltende Wachstums- und Entwicklungsparadigma beruht auf ungerechten Wirtschafts-, Sozial- und Politiksystemen und auf der ungleichen Verteilung von und Zugang zu Ressourcen wie Wasser und Land. Das zieht die Menschenrechtsverletzungen, Umweltschäden, soziale Missstände und Konflikte nach sich. Die Umweltkrise ist auch eine moralische Krise. Die internationale Politik sollte endlich die Lösungen aufgreifen, die schon längst auf lokaler Ebene vorliegen.

Von Joachim Heinz (KNA)

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