
„Stets an der Seite der indigenen Völker“
Brasilien ‐ Seit September hat der Indigenenrat der katholischen Kirche in Brasilien einen neuen Präsidenten: Erzbischof Roque Paloschi von Porto Velho. Er tritt in die Fußstapfen seines weltweit bekannten Vorgängers Bischof Erwin Kräutler - keine leichte Aufgabe, doch das ist nicht seine einzige Herausforderung.
Aktualisiert: 15.03.2016
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Im September 2015 hat Erzbischof Roque Paloschi (59) von Porto Velho das Amt des Präsidenten des Indigenenrates der katholischen Kirche Brasiliens, CIMI, von Amazonasbischof Erwin Kräutler (76) übernommen. Vor ihm liegt nicht nur die schwere Aufgabe, in die Fußstapfen seines weltweit bekannten Vorgängers zu treten. Derzeit stehen Brasiliens indigene Völker und der CIMI unter großem Druck. Im Interview in Porto Velho zeichnet Roque ein Bild der aktuellen Lage.
Frage: Worin liegt die große Herausforderung für den Präsidenten des CIMI?
Roque: Wir dürfen den historisch eingeschlagenen Weg des CIMI nicht verlassen – also den Bund mit den indigenen Völkern. Und das trotz der gewaltigen Widerstände, die uns entgegenströmen: die Macht des Agrar-Business wie auch des brasilianischen Kongresses, der den Anliegen dieser Völker immer stärker entgegensteht; der Mainstream-Presse, die täglich die indigenen Völker angreift – und natürlich der Regierung, der die Anliegen der Indigenen egal sind. Dazu kommt noch eine Bevölkerung, die kalt und indifferent ist und diese Völker teilweise diskriminiert.
Frage: Derzeit erleiden die Guarani-Kaiowa im Teilstaat Mato Grosso do Sul eine Welle der Gewalt durch weiße Siedler. Hat der CIMI da zu wenig getan?
Roque: Wir tun, was möglich ist. Im dortigen Landesparlament läuft derzeit ein Untersuchungsausschuss gegen CIMI. Das ist kein Zufall, sondern liegt daran, dass wir an der Seite der Guarani-Kaiowa stehen.
Frage: Viele in der Politik und Bevölkerung glauben, dass CIMI blind ist, wenn es um die von Indigenen ausgeübte Gewalt gegen Weiße geht, wie im Fall der Cinta Larga, die 2004 gegen illegale Goldsucher auf ihrem Gebiet vorgingen und 29 von ihnen töteten.
Roque: Ein Sprichwort sagt: „Alle beklagen sich über die Wildheit des Flusses. Aber niemand sieht, dass ihn seine Ufer einengen.“ Die indigenen Völker wurden stets eingeengt, zurückgedrängt, verfolgt und dezimiert. Und wenn sie sich dann wehren – was unnormal für sie ist – läuft das monatelang durch die Presse. Wir unterstützen keine Gewalt, ganz im Gegenteil. Aber wir können nicht ignorieren, dass die Völker um ihre Rechte gebracht werden.
Im Gebiet der „Raposa Serra do Sol“ wurden in drei Jahrzehnten mehr als 25 indigene Anführer ermordet. Aber kein weißer Siedler wurde aus Vergeltung umgebracht, auch kein Politiker. Die Indigenen sind meist friedlich – aber aufgrund der stets gegen sie ausgeübten Gewalt kann es auch einmal zu einer gewaltsamen Gegenreaktion kommen.
Frage: Unter der Regierung Dilma Rousseff gab es kaum Fortschritte bei der Demarkierung und Einrichtung indigener Territorien.
Roque: Das macht mir Sorge, denn das gefährdet die Errungenschaften der Verfassung von 1988. Der Kongress wird von drei Fraktionen beherrscht: erstens dem Agrar-Business; zweitens der „Wild-West- Fraktion“, die alle Probleme mit noch mehr Gefängnissen, der Todesstrafe und der Herabsetzung der Strafmündigkeit lösen will; und drittens der „Bibel-Fraktion“ der Evangelikalen. Das ist eine Dampfwalze, die über die Armen und die Indigenen dieses Landes hinwegrollt. Laut der Verfassung von 1988 hätten alle Indigenen-Gebiete in fünf Jahren, also bis 1993, markiert werden müssen. Da dies nicht geschah, zog dort Gewalt ein. Leider hat die Regierung den Sozialen Bewegungen, den Armen und den Indigenen den Rücken zugekehrt und sich dem Kapital unterworfen.
Frage: Der Schutz der Indigenen sei auch der Schutz der Urwälder, hört man von Umweltaktivisten. Wie hängt das zusammen?
Roque: Die indigenen Schutzgebiete sind die, die noch am besten erhalten sind. Leider dringen Minenkonzerne, Holzfäller und Monokulturen auch hier illegal ein. Und da die Regierung vor Ort kaum präsent ist, geht das immer so weiter. Der Papst schreibt in seiner Enzyklika „Laudato Si“, dass wir mit sterben, wenn eine Tierart ausstirbt. Und stirbt ein indigenes Volk aus, wird unsere Welt ein Stück ärmer. Die Indigenen leben in einer anderen Geschwindigkeit als der moderne Mensch; aber das Recht dazu garantiert ihnen die Verfassung. Ihr Überleben zu garantieren, garantiert das Überleben dieses wundervollen Gartens Amazonien.
Frage: Ihr Vorgänger Bischof Erwin Kräutler hat gegen Mega-Projekte wie den Staudamm von Belo Monte gekämpft. Werden Sie da weitermachen?
Roque: Bischof Kräutler kämpfte stets an der Seite der indigenen Völker – und er hatte dabei nie Angst. Da wollen wir anschließen, und zwar besonders beim Kampf gegen Mega-Projekte, die uns von oben einfach vorgesetzt werden. Nicht mal die Verfassung wird dabei respektiert, die ja öffentliche Anhörungen der Betroffenen vorschreibt. Aber ich habe für diesen Kampf keine fertige Formel. Man sagt ja, dass man „laufen muss, um laufen zu lernen.“ Ich und alle CIMI-Mitarbeiter werden nicht aus der Verantwortung fliehen, diesen Weg gemeinsam mit den indigenen Völkern zu gehen.
Von Thomas Milz (KNA)
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