„Scheitern ist keine Option“

„Scheitern ist keine Option“

Humanitäre Hilfe ‐ Die wachsende Zahl von Naturkatastrophen und gewaltsamen Konflikten überfordert das internationale Hilfssystem. In der kommenden Woche findet der erste Humanitäre Weltgipfel in Istanbul statt. Er will das globale Hilfssystem reformieren. Die Erwartungen sind hoch.

Erstellt: 18.05.2016
Aktualisiert: 28.07.2022
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In ihrer derzeitigen Struktur ist die weltweite Not- und Katastrophenhilfe den anstehenden Herausforderungen nicht mehr gewachsen. So lautet die nüchterne Analyse des Dachverbands der deutschen entwicklungspolitischen und humanitären Nichtregierungsorganisationen (Venro). Aufgrund von Konflikten, Naturkatastrophen sowie sozialen Notlagen sind laut UN 83 Millionen Menschen zum Überleben auf humanitäre Hilfe angewiesen - Tendenz seit Jahren steigend.

Am kommenden Montag und Dienstag wollen sich im türkischen Istanbul zahlreiche Staats- und Regierungschefs sowie rund 5.000 Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Hilfsorganisationen und aus der Zivilgesellschaft über Reformen der weltweiten humanitären Hilfe verständigen. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon hatte alle Akteure vor drei Jahren zu einem Reformprozesses eingeladen. Die rund 23.000 Beiträge aus 129 Ländern hat er in einer Analyse zusammengefasst. Die Ergebnisse sollen in Selbstverpflichtungen eingehen, zu denen sich Regierungen wie zivile Akteure beim ersten „World Humanitarian Summit“ öffentlich bekennen können.

Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wird zu Wort kommen. Das Außenamt und das Entwicklungsministerium haben den Prozess unterstützt, besonders die Themen Krisenprävention und Konfliktbeilegung sowie die vorausschauende Hilfe und die stärkere Verzahnung kurzfristiger und längerfristiger Unterstützung.

80 Prozent der humanitären Hilfe fließen in Konfliktregionen

Laut Angaben des Deutschen Roten Kreuzes waren allein in den vergangenen zehn Jahren über 1,9 Milliarden Menschen von Naturkatastrophen betroffen, über 800.000 kamen ums Leben. Rund 80 Prozent der Hilfe fließen aber derzeit in Konfliktregionen. Denn zur größten Flüchtlingskrise seit dem Zweiten Weltkrieg haben vor allem anhaltende gewaltsame Auseinandersetzungen beigetragen wie in Syrien, Irak, Jemen, Südsudan, Nigeria, Somalia oder Kongo. Das humanitäre Völkerrecht wird dabei immer öfter missachtet – zuletzt bei der Bombardierung von Krankenhäusern in Aleppo. Flüchtlinge warten durchschnittlich 17 Jahre zumeist in Lagern auf ihre Rückkehr.

Die Finanzzusagen haben sich in den vergangenen Jahren zwar verdoppelt, der Bedarf aber vervierfacht, konstatiert Venro-Vorstandsmitglied Inez Kipfer-Didavi. Das UN-Welternährungsprogramm könne finanziell gerade mal vier Monate im Voraus planen, beklagt sie. So fordert Venro eine vorausschauende Finanzierung, zusätzliche Geldgeber und längere Projektlaufzeiten.

Lokale Akteure stärken

Zur Diskussion steht die Organisation des humanitären Systems. Es sei zu „schwerfällig und zentralisiert“ und gehe nicht selten an den konkreten Bedürfnissen vorbei, etwa durch „schablonenhafte Hilfspakete“, so Venro. „Die Rolle internationaler Organisationen muss, wenn immer möglich, gegenüber der Verantwortung nationaler Organisationen und Initiativen als direkt Hilfeleistenden zurücktreten“, heißt es weiter. Lokale Akteure und vor allem die Betroffenen selbst sollten Vorrang haben, nicht zuletzt durch mehr Geld- statt Sachleistungen. Kritik über Entmündigung durch internationale Hilfe kam etwa von Opfern des Taifuns Haiyan auf den Philippinen.

Zu den offenen Fragen gehört die stärkere Verzahnung von kurzfristiger humanitärer Hilfe und der oft politisch orientierten Entwicklungshilfe. Venro verlangt für Deutschland eine bessere Abstimmung der Bundesressorts mit Hilfsorganisationen, bei „Wahrung der unterschiedlichen Arbeitsweisen“.

Ganz grundsätzliche Kritik übte „Ärzte ohne Grenzen“ an der Arbeitsteilung des Gipfelprozesses selbst. Er sei „zu einem Feigenblatt der guten Absichten geworden, welches diese systematischen Verletzungen, allen voran der Staaten, verdecken hilft“, lautet der Vorwurf. „Dadurch, dass Staaten auf dieselbe Ebene wie NGOs und UN-Organisationen gestellt werden, die weder die gleiche Macht noch die gleichen Verpflichtungen haben, nimmt der Gipfel die Staaten aus der Pflicht.“ Die Ärzteorganisation zog sich deshalb Anfang Mai aus dem Gipfelprozess zurück. Venro überschrieb seinen „Standpunkt“ hingegen mit dem Titel: „Scheitern ist keine Option“. Dazu muss der Gipfel aber auch klären, wie die Einhaltung der Selbstverpflichtungen zu überprüfen sind, die auf dem Gipfel präsentiert werden sollen.

Von Christoph Scholz (KNA)

© KNA

Vatikan schickt Delegation zum Humanitären Weltgipfel

An dem UNO-Weltgipfel für humanitäre Hilfe in Istanbul wird auch der Vatikan vertreten sein. Wie Radio Vatikan am Mittwoch berichtete, nehmen Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin sowie der Ständige Beobachter des Heiligen Stuhls bei den Vereinten Nationen in New York, Erzbischof Bernardito Auza, und der ehemalige Ständige Beobachter bei den Vereinten Nationen in Genf, Erzbischof Silvano Tomasi, an der Konferenz teil. (KNA)