
„Es braucht nicht noch mehr Polarisierung“
Venezuela ‐ Die schwere Krise in Venezuela verschärft sich zusehends. Die Menschen leiden unter Stromabschaltungen. Es bilden sich lange Schlangen vor den Supermärkten. Das Regime von Präsident Maduro kämpft mit allen Mitteln ums Überleben. Der Adveniat-Experte Thomas Wieland ist überzeugt: Mit Maduro wird es keine Verbesserungen geben.
Aktualisiert: 20.05.2016
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In Venezuela wird die Lage immer dramatischer. Die Menschen leiden unter Stromabschaltungen. Lebensnotwendige Güter sind knapp. Das Regime von Präsident Maduro kämpft mit allen Mitteln ums Überleben. Ein Sprecher von Caritas Spanien sagt, die Regierung habe dem Verband untersagt, Hilfslieferungen nach Venezuela zu schicken. Dabei hatte die Venezolanische Bischofskonferenz angesichts der schweren Wirtschaftskrise ausdrücklich um Unterstützung gebeten. Über die Lage im Land hat Radio Vatikan mit Thomas Wieland, Lateinamerika-Experte des katholischen Hilfswerkes Adveniat, gesprochen:
Wieland: Ich konnte Venezuela im Februar und März dieses Jahres besuchen. Ich sah, wie die Menschen leben: Sie stehen in langen Schlangen vor den Einkaufszentren, um Lebensmittel für sich zu bekommen. Sie suchen Wasser, weil die Wasserversorgung seit mehreren Monaten in den Städten nicht mehr funktioniert. Es gibt kaum Medikamente für die notwendige Versorgung der Kranken im Land. Die Menschen sind in ihrem Alltag damit beschäftigt, das Notwendige fürs Überleben zu sichern. Ich erlebe sie in einer Stimmung der Depression und Sorge um den Alltag. Diese Situation in Venezuela wird von die Regierung nicht gelöst, sondern eher verschleiert. Sie legt Wert darauf, dass die medizinische Versorgung gewährleistet sei, was de facto aber nicht der Fall ist!
Verschiedene Kommentatoren stellen die Frage, ob Venezuela auf einen Abgrund zusteuert. Allerdings sehen unsere Partner, dass die Menschen eher in eine depressive Stimmung fallen werden und nicht wissen, wie sie aus dieser Krise herauskommen sollen. Das spiegelt sich auch in der Stellungnahme der Bischofskonferenz vom 27. April wider, in der sie die Bürger aufruft, aktiv zu werden, sich zu verständigen, für Dialog zu sorgen, um gemeinsam die Probleme anzugehen – sowohl Regierungsvertreter als auch Vertreter der Opposition und sämtliche Gruppierungen im Land.
Kirche findet durchaus klare Worte
Frage: Man hört immer wieder davon, dass die Kirche doch auch als Vermittlerin ins Spiel gebracht werden könnte, sogar der Vatikan. Wenn man das im Hinterkopf hat, dann hören sich die Stellungnahmen der Bischofskonferenz immer so schrecklich abgewogen an.
Wieland: Der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Monsignore Padrón, findet durchaus klare Worte, wenn er die Situation in Venezuela beschreibt. Er spricht zum Beispiel davon, dass der Chavismus (nach dem früheren Präsidenten Hugo Chavez, Anm. d. Red.) ein Volk von Bettlern geschaffen hat, indem er einen Vaterstaat kreiert hat, der offensichtlich für alles zuständig ist. Er spricht von der Korruption. Die Bischöfe als Einheit nennen die Korruption auch beim Namen. Sie sprechen die zentralen Themen an: die Versorgungsengpässe und die Konzentration der Macht in der Hand Weniger. Natürlich sind die Stellungnahmen der Bischöfe durchaus abgewogen, denn sie möchten ja zum Dialog einladen. Das Land hat schon genug Polarisierung. Es braucht nicht noch mehr Zuspitzung. Es braucht nicht noch mehr Polarisierung im Land. Es müssen die Kräfte gestärkt werden, die den Dialog und das Gespräch der unterschiedlichen Kräfte der Regierung und der Opposition ermöglichen.
Frage: Der Kirche wurde immer von Hugo Chávez unterstellt, dass sie den Mächtigen und den Besitzenden näher sei als an den Armen. Wie ist ihr Standing in Venezuela? Wäre die Kirche überhaupt imstande zu einer Art Vermittlung oder einem Zustandekommen eines runden Tisches zwischen Regierung und den oppositionellen Kräften? Oder würde das die Kirche überfordern?

Wieland: Die Stärke der Kirche ist überall präsent – in sämtlichen Regionen des Landes, das sehr divers ist. Es ist geprägt durch Städte – der Großteil der Bevölkerung lebt in den großen Städten –, aber auch durch die verschiedenen indigenen Völker und afro-venezolanische Menschen. Eine große Vielfalt. Die Kirche ist in allen Gesellschaftsschichten und in allen Bereichen präsent. Das ist die Stärke, die sie hat, um für die Verständigung innerhalb des Landes zu sorgen. Der Vorwurf des Präsidenten Chávez, nämlich dass die Kirche stark auf Seiten der Mächtigen stand, rührt aus der Geschichte her, wo es durchaus auch der Fall war, dass die Bischöfe stark auf der Seite der Regierenden, der wohlhabenden Bevölkerungsschichten standen. Das hat sich in den letzten Jahrzehnten allerdings verändert. Heute äußert sich die Kirche stärker zugunsten der Armen und ist stärker in den armen Bevölkerungsschichten verankert. Sie kann durchaus durch ihre Präsenz an den verschiedenen Stellen, an der Basis, sehr kapillar in den Regionen des Landes etwas zur Verständigung beitragen.
Maduro-Regierung behindert Arbeit der Caritas
Frage: Präsident Maduro scheint den ausgerufenen Notstand zu benutzen, um an der Macht zu bleiben und um die Lage im Land etwas zu verschleiern. Er überwacht auch oder er setzt ausländischen, Nichtregierungsorganisationen zu. Trifft das jetzt auch Sie? Oder macht Adveniat alles über Partner vor Ort, die sowieso schon am Platz sind?
Wieland: Die Arbeit von Adveniat wird im Großen und Ganzen nicht eingeschränkt durch die Regierung. Wir unterstützen Projekte der Kirche vor Ort – zum einen, dass sie präsent sein kann, zum anderen die Ausbildung von kirchlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Wir unterstützen Jugendliche, die auf den Großmärkten aktiv sind. Wir unterstützen auch die Initiativen, die für die Einhaltung der Menschenrechte sorgen, wie in der Erzdiözese Caracas. Bei der Versorgung der Menschen mit dem Notwendigsten stoßen wir allerdings auf Hindernisse. Es gibt keine Möglichkeit, dass kirchliche Partner Medikamente ins Land bringen und für die Verteilung der Medikamente sorgen; auch für die Verteilung von Lebensmitteln. In diesem Fall behindert die Maduro-Regierung die Arbeit der Kirche und auch die Initiativen Adveniats.
Frage: Gäbe es denn aus Ihrer Sicht eine Möglichkeit, um diese innenpolitische Blockade, dass das Parlament gegen Präsident steht und umgekehrt, aufzubrechen? Warum hat eigentlich der Dialog, den es hier ja gegeben hat, zu gar nichts geführt?
Wieland: Die Regierung wird von den Militärs gestellt und bestimmt. Die Interessen der Militärs sind wirtschaftlicher Art. Sie haben die Wirtschaft im Land im Griff und sie profitieren auch vom Schmuggel – zum Beispiel des Erdöls – oder von diesen unklaren Devisen- und Tauschverhältnissen zwischen Dollar und Bolivar. Die Militärs sind der Schlüssel für die Veränderungen. Es gibt unter den Militärs auch Personen, die mit der Politik der Regierung nicht mehr einverstanden sind. Vorstellbar wäre, dass aus diesem Machtzentrum sich einzelne lösen und mit der Opposition, dem gemeinsamen, demokratischen Tisch, an dem die verschiedenen Oppositionsparteien vereint sitzen, in Kontakt treten und eine Lösung aus der politischen Krise suchen.
Mit Präsident Maduro, der sich immer mehr verhärtet zeigt, je problematischer die Situation in Venezuela wird, wird es keinen Ausweg geben. Deswegen strengt ja die Opposition auch mit großem Erfolg ein Abberufungsverfahren des Präsidenten an, das er mit sämtlichen juristischen und administrativen Tricks zu verhindern versucht – zum Beispiel indem er die Arbeitszeit der Staatsangestellten auf zwei Tage die Woche reduziert hat. So können die ganzen Verwaltungsakte, die mit dem Abberufungsverfahren, mit dem Volksentscheid, verbunden sind, nicht durchgeführt werden. Mit Maduro wird es keine Veränderungen geben. Allerdings ist die Hoffnung, dass im Regierungslager Menschen auch einen kühlen Kopf haben und sehen, dass das venezolanische Volk unter den jetzigen Verhältnissen leidet, und einen Schritt auf die Opposition zu tun.
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