„Das Herz Polens“
Weltjugendtag ‐ Mittelalterliche Bauten, modern und zuweilen mondän - Krakau ist eine moderne Metropole an der Weichsel und bietet eine reiche Geschichte. Hunderttausende Jugendliche können sich ab dieser Woche davon persönlich überzeugen. Und auch Papst Franziskus beim Weltjugendtag. Ein Portrait der Weltjugendtagsstadt Krakau.
Aktualisiert: 17.01.2023
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Mittelalterliche Bauten, modern und zuweilen mondän - Krakau ist eine moderne Metropole an der Weichsel und bietet eine reiche Geschichte. Hunderttausende Jugendliche werden sich davon persönlich überzeugen. Und auch Papst Franziskus beim Weltjugendtag.
Die „Hejnał-Melodie“ kennt jeder Pole, sie gilt als heimliche Hymne des Landes. Gespielt wird sie von einem Bläser auf dem Turm der Marienkirche in Krakau zu jeder vollen Stunde. Die Augen aller Touristen richten sich dann zum Turm und seinem Trompeter. Nach Krakau schauen werden diesen Sommer aber insbesondere katholische Jugendliche, fast auf der ganzen Welt. Die Stadt an der Weichsel ist Gastgeber des Weltjugendtags (WJT).
„Krakau hat nicht aufgehört wichtig für Polen zu sein, obwohl sie seit 400 Jahren keine Hauptstadt mehr ist“, betont Jacek Urban. Kirchlich gesehen habe die Stadt eine dominierende Rolle innerhalb des Landes, sagt der Krakauer Professor für Kirchengeschichte. Das Wawelschloss mit seiner prachtvollen Kathedrale war einst der Krönungsort vieler polnischer Könige. Heute ist in der Krypta das Pantheon des Landes.
Oben vom Wawelberg eröffnet sich ein malerischer Ausblick auf die Weichsel. Gemächlich schlängelt sich der Fluss vorbei an der Stadt. Er passiert die sagenumwobene Drachenstatue "Smok Wawelski", das jüdische Viertel Kazimierz und fließt weiter der Ostsee entgegen. Gilt die Weichsel als wichtigster Fluss als die Lebensader Polens, so ist Krakau, so zumindest bezeichnet es Kunsthistoriker Urban, „das Herz des Landes“.
100 Kirchen auf 760.000 Einwohner
Urban steht mit seiner Beschreibung nicht allein da. In der polnischen Literatur wurde die Weichselmetropole immer wieder in den höchsten Tönen gelobt und auch der Volksmund kennt viele Sprichworte, um den Glanz und die besondere Stellung der Weichselmetropole zu beschreiben. "Gäbe es nicht Rom, wäre Krakau Rom", lautet ein Sprichwort. Und Parallelen zur Ewigen Stadt lassen sich in der Tat finden. Etwa unzählig viel kunsthistorisch wertvolle Sakralarchitektur.
So stehen in Krakau mehr als 100 Gotteshäuser – auf 760.000 Einwohner. Und ähnlich wie am Tiber, gibt es an der Weichsel gleich ein halbes Dutzend Hügel um die Stadt, deren Herkunft nicht eindeutig geklärt ist. Die Geschichte Krakaus jedoch ist um Jahrhunderte jünger als die Roms. Zwar war der Wawelhügel schon in früherer Zeit besiedelt. Wirklich bedeutsam wurde die Stadt mit der Gründung des polnischen Staates erst Ende des 10. Jahrhunderts.
Gemein mit Rom hat Krakau auch dutzende, wenn auch unterschiedliche Legenden über seine Entstehung. Etwa über den Stammesfürsten Krak, der tapfer einen Drachen tötete und über der Drachenhöhle – dem heutigen Wawelberg – eine Stadt gründen ließ. Keine Legende dagegen ist, dass Krakau von 1038 an für 500 Jahre die Hauptstadt Polens war und in dieser Zeit sehr prosperierte.
„Einer der schönsten Orte Polens“
Hier wurde 1364 die nach Prag zweitälteste Universität nördlich der Alpen gegründet und zeitgleich der 200 mal 200 Meter große Marktplatz, der Rynek, angelegt. Mit 40.000 Quadratmeter einer der größten mittelalterlichen Plätze in Europa und „noch heute die Visitenkarte der Stadt“, wie Kunsthistoriker Urban sagt. „Alle Wege in der Altstadt führen zwangsläufig am Rynek vorbei.“
Auf dem Platz stehen auch die Marienkirche, von deren Turm die Hejnał-Melodie gespielt wird, und in der Mitte die alten Tuchhallen, eines der bekanntesten Renaissance-Architekturdenkmäler in Europa. Hier steht aber auch das Adam-Mickiewicz-Denkmal, das die Bedeutung der Stadt für die polnische Kultur und das künstlerische Schaffen – gerade auch in schwieriger Zeit – unterstreicht.
Denn während Polen im ausgehenden 18. Jahrhundert für über 100 Jahre von der Landkarte verschwand, bildete sich an der Weichsel eine Keimzelle der polnischen Kultur. Maler wie Stanislaw Wyspianski oder Jan Matejko haben hier gewirkt, ebenso wie die Dichter Czesław Miłosz oder Wisława Szymborska. Die kulturelle Atmosphäre hat sich in der Stadt bis heute gehalten und wirkt auf die Touristen magisch anziehend. „Dass jährlich mehr als zehn Millionen Besucher kommen, zeigt doch, dass es einer der schönsten Orte in Polen ist“, verdeutlicht Kunsthistoriker Urban.
Mehr als „typische“ Sehenswürdigkeiten
Papst Franziskus wird in diesem Jahr der wohl bekannteste Besucher an der Weichsel sein. Wobei er nicht als Tourist, sondern mit einer „Mission“ kommt, zum Weltjugendtag. Bis zu zwei Millionen junge Teilnehmer rechnen die Organisatoren: „Es wird ein großes Fest der Begegnung, ein Fest des Glaubens“, erwartet Burkhard Haneke, Geschäftsführer des Osteuropahilfswerks Renovabis. Die Solidaritätsaktion unterstützt seit ihrer Gründung 1993 pastorale und soziale Projekte im Nachbarland. Im Jahr des Weltjugendtages nimmt das Hilfswerk die Situation von jungen Menschen in Osteuropa in den Fokus.
Krakau ist bei Jugendlichen wegen seiner Hochschullandschaft und der Ausgehmöglichkeiten besonders beliebt. Viele davon gibt es in Kazimierz. Das ehemalige jüdische Viertel hat – wie fast die gesamte historische Bausubstanz Krakaus – den Zweiten Weltkrieg weitgehend unbeschadet überlebt. In Kazimierz stehen nicht nur ein halbes Dutzend Synagogen, die ein Zeugnis jüdischen Lebens der Vorkriegszeit sind. Kazimierz gilt mittlerweile als die Party-Meile unter jungen Krakauern und ebenso bei Besuchern.
Immer mehr „mausert“ sich auch ein weiterer Stadtteil, wenn auch die historischen Baudenkmäler hier weniger alt sind und sich ihre Schönheit nicht allen auf den ersten Blick erschließt. Neoklassizistische Arbeiterpaläste und breite Alleen kennzeichnen den Arbeiterbezirk „Nowa Huta“, der in der Nachkriegszeit für die Belegschaft des örtlichen Eisenhüttenkombinats errichtet wurde. Wer in die Welt der sozialrealistischen Architektur eintauchen will, ist hier richtig.
Einst sollte „Nowa Huta“ ein sozialistisches Gegenstück zum katholisch-konservativen Krakau bilden. Doch dann wurde der spätere Papst, Karol Wojtyła, Erzbischof an der Weichsel und konnte nach langwierigem Widerstand 1977 die architektonisch anspruchsvolle „Kirche der Mutter Gottes, der Königin von Polen" fertigstellen. Und zeigte damit, wie wichtig kirchliches Leben für die Stadt, „das Herz Polens“, ist.
Von Markus Nowak
© Renovabis