„Das ist grauenhaft“
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„Das ist grauenhaft“

Religionsfreiheit ‐ Der UN-Sonderberichterstatter für Religionsfreiheit, Heiner Bielefeldt, zeigt sich besorgt über die schwindende Präsenz der Christen im Nahen Osten. Im Interview äußerte sich der Menschenrechts-Experte außerdem zum Verhältnis zwischen Islam und Gewalt und warnte vor „allzu schlichten Formeln“.

Erstellt: 01.08.2016
Aktualisiert: 01.08.2016
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Der UN-Sonderberichterstatter für Religionsfreiheit, Heiner Bielefeldt, hat sich besorgt über die schwindende Präsenz der Christen im Nahen Osten geäußert. Im Interview übte er am Freitag in Nürnberg auch Kritik an Forderungen der AfD, muslimischen Flüchtlingen kein Asyl zu gewähren. Mit dem 1. August endet seine offizielle Amtszeit nach sechs Jahren.

Frage: Herr Bielefeldt, wie hat sich die Lage der Religionsfreiheit weltweit in den vergangenen Jahren entwickelt?

Bielefeldt: Ich musste leider miterleben, dass sie vielerorts unter Druck geraten ist. Besonders dramatisch ist die Lage offenkundig im Nahen Osten. Neben manchen Staaten gehen zunehmend auch nichtstaatliche Gewalt-Akteure wie der IS brutal gegen Andersdenkende vor.

Frage: Wie ist die Lage der Christen? Erstmals scheint ihre 2000-jährige Präsenz im Nahen Osten gefährdet.

Bielefeldt: Ja, das ist grauenhaft. Der IS zielt mit seinen Terroraktionen nicht nur darauf, den Christen und anderen Minderheiten, etwa den Jesiden, in der Region jede Zukunft zu verbauen; er hat sich offenbar vorgenommen, auch alle Spuren ihrer Vergangenheit restlos auszulöschen. Dabei handelt es sich hier um die Region, in der das Christentum entstanden und seine ersten Gemeinden ausgebildet hat. Ein historisches Erbe von Jahrtausenden droht dem Furor des Fanatismus zum Opfer zu fallen.

Hunderttausende von Christen haben Syrien und Irak in den letzten Jahren verlassen. Ob wenigstens einige von ihnen zurückkehren und ein neues Gemeindeleben aufbauen werden, ist ganz unabsehbar. In den Gesprächen mit Kirchenvertretern aus dem Nahen Osten erlebt man eine große Verbitterung, nicht selten auch Vorwürfe an Europa und den Westen. „Ihr habt uns verraten“, heißt es dann. „Warum tut ihr nichts?“ Im Moment hat ja niemand eine „road map“ für den Nahen Osten. Auch die UNO bietet ein klägliches Bild. Sie kann aber den fehlenden Konsens der tonangebenden Mächte weder ersetzen noch überspielen.

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Frage: Das alles klingt pessimistisch.

Bielefeldt: Derzeit hat man in der Tat das Gefühl, dass vieles, was bereits erreicht schien, regelrecht zerbröselt und dass die Konsenschancen hinsichtlich der Religionsfreiheit dramatisch schrumpfen. Aber wir können es uns nicht leisten, in Fatalismus abzugleiten. Deshalb brauchen wir Hoffnungszeichen – nicht nach Hollywood-Art, sondern realistische Hoffnung. Beispielsweise gibt es Fortschritte bei der Entwicklung nationaler Menschenrechtsinstitutionen, die ein Kernstück in einer entstehenden weltweiten Infrastruktur der Menschenrechte bilden.

Frage: Gibt es solche Lichtblicke?

Bielefeldt: Natürlich. Dazu zählt vor allem der großartige Einsatz vieler Menschen, etwa in Ländern wie Vietnam oder Bangladesch, die unter enormen Risiken für Freiheitsrechte eintreten. Das waren wunderbare Erfahrungen, die für mich Ermutigung und Verpflichtung zugleich bedeuten.

Frage: Wo liegen derzeit die größten Herausforderungen?

Bielefeldt: In den fürchterlichen Gewaltexzessen, die vielerorts im Namen der Religion stattfinden. Ich denke an Übergriffe von Hindu-Nationalisten gegen christliche oder muslimische Minderheiten in Indien oder an Mobbing-Aktionen, die im Namen des Buddhismus in Sri-Lanka oder Myanmar stattfinden. Am augenfälligsten ist das Problem derzeit im Umfeld des Islams, der für alle möglichen Mordaktionen herhalten muss, unter denen bekanntlich auch viele Muslime leiden. Letzteres sollten wir nicht vergessen.

Frage: Muslimische Staaten werfen dem Westen immer wieder vor, die Religionsfreiheit zu missachten, weil sie angeblich Diffamierungen gegen den Islam nicht ahnden.

Bielefeldt: Hinter diesem Vorwurf verbirgt sich ein fundamentales Missverständnis. Die Religionsfreiheit schützt nicht die Ehre der Religion, sondern die Freiheit der Menschen. Dazu zählt auch die Freiheit zur Religionskritik, zur Religionsskepsis und zum Religionswechsel. Nach wie vor hat das Recht auf Glaubenswechsel den Charakter einer Testfrage, an der sich entscheidet, ob wir überhaupt von echter Religionsfreiheit reden können. In vielen Staaten wird die Antwort Nein lauten.

Frage: Dazu gehört auch Saudi-Arabien, ein Land, das im Menschenrechtsrat sitzt. Ist das nicht frustrierend?

Bielefeldt: Allerdings. Dass auch Staaten, in denen die Menschenrechte brutal missachtet werden, in menschenrechtlichen Gremien sitzen, ist grotesk.

Frage: Islamische Fundamentalisten berufen sich bei ihren Terroranschlägen ebenso auf den Koran wie Saudi-Arabien oder der Iran bei brutalen Auspeitschungen oder Hinrichtungen. Ist die Frage im Islam besonders virulent?

Bielefeldt: Ich warne vor zwei allzu schlichten Formeln, die einem immer wieder begegnen. Die erste lautet: „Das hat gar nichts mit dem Islam zu tun.“ Auch wenn ich verstehen kann, dass viele Muslime in den blutigen Eskapaden, die uns derzeit heimsuchen, nicht einmal eine böse Karikatur ihrer Religion erkennen können, ist diese Formel letztlich zu simpel. Die Religion wird eben nicht nur von außen missbraucht oder politisch manipuliert. Auch aus dem Binnenraum der Religionen kann sich ein gewalttätiges Machtgebaren entwickeln. Dem müssen wir uns stellen.

Die andere schlichte Formel lautet: „Die Gewalt ergibt sich aus dem Wesen der Religion.“ Man müsse angeblich nur den Koran aufschlagen. Eine solche Zuschreibung führt letztlich zum Fatalismus, und das ist das Letzte, was wir brauchen. Entscheidend ist, wie Religion in Gesellschaften gelebt wird. Das heißt, die Gläubigen selbst tragen Mitverantwortung dafür, welche Züge einer Religion dominieren. Interreligiöse Dialoge können dazu beitragen, die Kräfte der Vernunft, der Mäßigung und der Offenherzigkeit zu stützen. Die politische Relevanz solcher Dialogprojekte wird nach wie vor unterschätzt.

Frage: Wie ist die Religionsfreiheit im Westen verwirklicht? Die AfD fordert einen Asyl-Stopp für Muslime.

Bielefeldt: Auf der Ebene der staatlichen Institutionen sieht vieles recht gut aus. Wir haben in Deutschland eine Rechtsprechung, die der Religionsfreiheit großen Raum gibt. Trotzdem sehe ich auch im Westen langfristige Gefahren dadurch, dass das Verständnis für die existenzielle Bedeutung, die Religion für viele Menschen hat, abnimmt. Dies kann auf Dauer die Wertschätzung für das Recht der Religionsfreiheit unterminieren. So ist es auch unerträglich, dass AfD-Funktionäre das Asylrecht für Muslime kassieren wollen, was natürlich völlig unvereinbar mit der Religionsfreiheit wäre. Solche populistischen Töne vergiften das Klima und können auch den Konsens in Sachen Religionsfreiheit gefährden.

Frage: Wie steht es um die Religionsfreiheit in den erklärtermaßen atheistisch-kommunistischen Staaten? Zeichnet sich eine Liberalisierung ab?

Bielefeldt: Ich fürchte, nein. Zwar geht es in Staaten wie China oder Vietnam heute nicht mehr primär um die ideologische Auseinandersetzung zwischen Kommunismus und Gottesglauben. Insofern hat sich manches geändert. Nach wie haben wir es in diesen Staaten aber mit Parteimonopolen zu tun. Daraus resultiert eine staatliche Kontrollobsession, die echte Religionsfreiheit unmöglich macht. Das Ausmaß der Repression wird im Westen dramatisch unterschätzt.

Von Christoph Scholz (KNA)

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