
Bildungsziel der Vereinten Nationen gefährdet
Weltbildungsbericht ‐ Glückwunschkarten schreiben oder einen Vertrag unterzeichnen - diese alltäglichen Situationen sind für 758 Millionen Menschen eine Herausforderung. Sie sind Analphabeten. Gegenmaßnahmen greifen laut Experten zu langsam. Das von der UN festgelegte Bildungsziel bis 2030 sei gefährdet.
Aktualisiert: 07.09.2016
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Wer darüber spricht, blickt oft in fragende Gesichter: Nicht richtig lesen und schreiben zu können, ist und bleibt ein Tabuthema. Und viele Menschen reagieren erstaunt, wenn sie erfahren, dass es allein in Deutschland 7 bis 7,5 Millionen Analphabeten gibt. Das berichtet der Bundesverband für Alphabetisierung und Grundbildung am Dienstag in Münster. Das Thema bleibe akut, mahnen die Experten - auch 50 Jahre nach dem ersten Weltalphabetisierungstag.
Die Unesco hat ihn 1965 ausgerufen, ein Jahr später wurde er erstmals begangen. Am Donnerstag ist es wieder soweit, und der Bundesverband will mit Aktionen im ganzen Land auf die Problematik hinweisen. Am selben Tag plant die Unesco die Gründung der „Globalen Allianz für Alphabetisierung“, um Menschen weltweit Lese- und Schreibkompetenzen zu vermitteln. Dies ist in den Bildungszielen der Globalen Nachhaltigkeitsagenda festgeschrieben, soll also bis 2030 erreicht werden.
758 Millionen Erwachsene sind Analphabeten
Weltweit sind nach Angaben der Deutschen Unesco-Kommission (DUK) 758 Millionen Erwachsene Analphabeten, zwei Drittel davon Frauen. In bestimmten Weltregionen sei es noch immer ein Privileg, Lesen und Schreiben zu lernen – obwohl beides die Voraussetzung für ein selbstbestimmtes Leben sei. Nur wer lesen und schreiben könne, könne sich selbstständig informieren. Und dies wiederum sei „notwendig, damit Menschen sich aus der Armut befreien können und ihnen eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, Geschlechtergerechtigkeit, Frieden und Sicherheit möglich ist“, mahnt das Vorstandsmitglied der Deutschen Unesco-Kommission (DUK), Walter Hirche.
Es gibt indes auch gute Nachrichten im dritten Weltbericht zur Erwachsenenbildung (GRALE III), den die Unesco unlängst veröffentlichte: Seit dem Jahr 2000 ist die weltweite Alphabetisierungsrate von Erwachsenen von 82 auf 86 Prozent gestiegen, bei Frauen von 77 auf 83 Prozent. Auch die Zahl der Jugendlichen mit Lese- und Schreibkompetenzen ist demnach in den vergangenen 15 Jahren kontinuierlich gewachsen: Dank besserem Schulzugang und Schulpflicht beträgt die Alphabetisierungsrate von Jugendlichen inzwischen weltweit 91 Prozent.
Besonders innovative Projekte zur Alphabetisierung zeichnet die Unesco jährlich zum Welttag aus. In diesem Jahr kommen die Preisträger aus Indien, dem Senegal, Südafrika, Thailand und Vietnam. In genau diesen Regionen bleibt die Lage indes schwierig: Die Alphabetisierungsrate in Subsahara-Afrika liegt bei 71 Prozent (Frauen: 66 Prozent), in Südasien bei 84 Prozent. Dies zeigt laut der Unesco eine „extreme Benachteiligung“.
Bildungsziel der Agenda 2030 gefährdet
Und auch grundsätzlich verlaufe die Entwicklung trotz erheblicher weltweiter Fortschritte zu langsam, um das von der Weltgemeinschaft festgelegte Bildungsziel bis 2030 erreichen zu können, so die Weltkulturorganisation. Die Globale Nachhaltigkeitsagenda der Vereinten Nationen sieht vor, „inklusive und hochwertige Bildung“ für alle bis 2030 sicherzustellen.
Nach aktuellen Trends werden jedoch alle Kinder weltweit erst 2042 eine Grundschulbildung erhalten. Die untere Sekundarschulbildung würde demnach 2059 erreicht, die obere Sekundarschulbildung nicht vor 2084, so der Weltbildungsbericht. Daher müsse die Weltgemeinschaft unverzüglich umsteuern, forderte Hirche von der Deutschen Unesco-Kommission.
In Deutschland sieht der Bundesverband ebenfalls Handlungsbedarf. Von den rund sieben Millionen Betroffenen gelten 2,3 Millionen als absolute Analphabeten, haben also keinerlei Lese- und Schreibkenntnisse erworben. Beim sogenannten funktionalen Analphabetismus wird dagegen berücksichtigt, welcher Grad an Schriftsprachbeherrschung innerhalb der Gesellschaft erwartet wird, in der der Betroffene lebt. Innerhalb der hoch entwickelten Industriestaaten müssen laut Bundesverband auch jene Personen als funktionale Analphabeten gelten, die über begrenzte Lese- und Schreibkenntnisse verfügen: Sie sind nicht in der Lage, „am gesellschaftlichen Leben in angemessener Form teilzuhaben“.
Von Paula Konersmann (KNA)
© KNA
Mehr zum Welttag der Alphabetisierung am 8. September unter www.unesco.de.