Leiter von Caritas international zur Krise im Südsudan
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Leiter von Caritas international zur Krise im Südsudan

Südsudan ‐ Der Südsudan steht am Abgrund. Rund jeder vierte Bewohner ist auf der Flucht. Den Konfliktparteien scheint jedes Mittel recht, um die eigene Machtposition zu verbessern. Oliver Müller, Leiter von Caritas international, fordert mehr Druck von der internationalen Gemeinschaft - und setzt Hoffnungen auf den Papst.

Erstellt: 06.12.2016
Aktualisiert: 30.11.2022
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Der Südsudan steht am Abgrund. Rund jeder vierte Bewohner ist auf der Flucht. Den verfeindeten Konfliktparteien scheint jedes Mittel recht, um die eigene Machtposition zu verbessern. Nach einem Besuch in dem nordostafrikanischen Krisenstaat beschreibt der Leiter von Caritas international, Oliver Müller, im Interview am Dienstag in Freiburg, wie seine Hilfsorganisation auf die humanitäre Katastrophe reagiert.

Frage: Herr Müller, nach der Unabhängigkeit Südsudans 2011 keimte Hoffnung auf eine friedliche Entwicklung des bitterarmen Landes. Doch schnell eskalierte der Machtkampf zwischen Staatspräsident Salva Kiir und seinem Vize Riek Machar. Der Friedensvertrag von 2015 hielt nur wenige Monate. Wie haben Sie jetzt die Lage in dem christlich geprägten Bürgerkriegsland erlebt?

Müller: Fast niemand hat Hoffnung auf eine schnelle, friedliche Lösung. Aus den ehemaligen Partnern Kiir und Machar sind erbitterte Feinde geworden, die um Macht und Einfluss ringen. Hinzu kommt, dass sie zwei unterschiedlichen Ethnien angehören, die sich nun gegenseitig bekämpfen. Und das Leid der Bevölkerung ist gewaltig. Beide Konfliktparteien sind für schlimme Übergriffe und Massenvergewaltigungen verantwortlich. Die Dorfgemeinschaften können sich kaum zu Wehr setzen. Die Täter werden nicht bestraft. Hinzu kommt die verheerende Dürre des vergangenen Jahres. Sie hat zu dramatischen Ernteausfällen geführt. Weite Teile der Landbevölkerung hungern. Knapp die Hälfte der Bevölkerung ist von Lebensmittellieferungen abhängig. Die humanitäre Situation ist schlicht katastrophal.

Frage: Welche Perspektiven sehen die humanitären Helfer und Kirchenvertreter vor Ort?

Müller: Auch aus deren Sicht weist wenig darauf hin, dass sich die Lage stabilisiert. Im Gegenteil: Sie warnen vor einer weiteren Eskalation. Daher ist es ist wichtig, dass die internationale Gemeinschaft mehr Druck ausübt. Dass zusätzliche UN-Soldaten stationiert werden, ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Wir müssen verhindern, dass es zu weiteren Massenvertreibungen kommt. Und die humanitäre Hilfe muss die Menschen in allen Landesteilen erreichen, damit sie in ihrer Heimat bleiben können und dort Hilfen zum Überleben erhalten.

Frage: Wie will Caritas international aktiv werden?

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Müller: Im Vordergrund steht die Überlebenshilfe. Die Menschen brauchen Lebensmittel, sauberes Wasser und Medikamente. Dabei ist uns wichtig, die Menschen nicht dauerhaft in Abhängigkeit von Hilfe von außen zu bringen. Daher verteilen wir auch Saatgut, um die Kleinbauern wieder in die Lage zu versetzen, sich selbstständig zu ernähren. Ein zweites Feld ist Bildung. In einem ersten Schritt haben wir in zwei Flüchtlingslagern Schulen eingerichtet, die nicht nur den Kindern eine Perspektive geben sollen, sondern auch den Alltag in diesen Lagern verbessern können. Nur jeder Dritte Südsudanese kann Lesen und Schreiben, nur vier Prozent der Kinder besuchen eine weiterführende Schule. Um dies zu ändern, braucht das Land internationale Unterstützung.

Frage: Was ist mit den Einnahmen aus der Ölindustrie des Landes?

Müller: Wegen der Konflikte ist die Ölförderung wie die gesamte Wirtschaft des Landes eingebrochen. Der Südsudan ist aktuell eines der ärmsten Länder der Welt. Zuletzt lag die Inflationsrate bei 835 Prozent. Alle Entwicklungsindikatoren sind dramatisch schlecht. Es gibt auf dem Land praktisch keine medizinische Versorgung, die Mütter- und Kindersterblichkeit ist extrem hoch. Und nun wächst die Sorge vor einer Cholera-Epidemie.

Frage: Können Hilfsorganisationen in dieser Konfliktlage überhaupt arbeiten?

Müller: Die unübersichtliche Entwicklung macht es schwierig, die Notleidenden zu erreichen. Als kirchliches Hilfswerk können wir aber über unsere lokalen Partner wie Orden und Caritasverbände auch in entlegenen Gegenden tätig werden.

Frage: Welche Rolle könnte die katholische Kirche in dem christlich geprägten Land spielen?

Müller: Sicher eine aktivere. Ein wichtiges Zeichen wäre es, wenn Papst Franziskus 2017 das Land besuchen würde. Entsprechende Pläne gibt es. Ein solcher Besuch würde den internationalen Blick auf diese vergessene Katastrophe lenken. Und vielleicht könnte der Papst die politisch Verantwortlichen zur Abkehr von der Gewalt bewegen.

Von Volker Hasenauer (KNA)

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Südsudan

Das afrikanische Land Südsudan erlangte am 9. Juli 2011 seine Unabhängigkeit vom Sudan und wird deswegen auch als „jüngster Staat der Erde“ bezeichnet. Hauptstadt ist Juba. Auf einer Fläche von der ungefähren Größe Frankreichs leben rund zwölf Millionen Menschen. Das Durchschnittsalter der Bevölkerung liegt bei gerade einmal 17 Jahren. Die Einwohner gehören einer Vielzahl unterschiedlicher Ethnien an; die größte Gruppe stellen mit 35 Prozent die Dinka. Anders als im muslimisch geprägten Sudan überwiegen im Südsudan die Christen. Trotz seiner Bodenschätze - vor allem Erdöl - ist die Armut im Südsudan groß. Hinzu kommt eine Vielzahl an sozialen und politischen Konflikten. Seit 2013 liefert sich Präsident Salva Kiir einen blutigen Machtkampf mit seinem Herausforderer Riek Machar. Rund drei Millionen Menschen wurden dadurch bereits in die Flucht getrieben. Seit der Staatsgründung sollen UN-Blauhelme für Stabilität im Land sorgen. Auch die Bundeswehr ist an der Mission UNMISS beteiligt. Kritiker werfen der UN vor, nicht entschlossen genug gegen die Gewalt im Südsudan vorzugehen. (KNA)