„Mir war das Unrecht nicht bewusst“
Südafrika ‐ Sr. Justina Prieß OP lebt seit 1958 in Südafrika. Sie leitete während der Hochphase der Apartheid eine Schule mit getrennten Räumen für Kinder unterschiedlicher Hautfarbe. Erst später wurde der Dominikanerin die Grausamkeit dieses Unrechtssystems bewusst.
Aktualisiert: 08.03.2017
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Sr. Justina Prieß OP lebt seit 1958 in Südafrika. Sie leitete während der Hochphase der Apartheid eine Schule mit getrennten Räumlichkeiten für Kinder unterschiedlicher Hautfarbe. Erst später wurde ihr die Grausamkeit dieses Unrechtssystems bewusst.
Ohne jegliche Englischkenntnisse kam die Dominikanerin Justina Prieß 1959 nach dreiwöchiger Schifffahrt in Südafrika an. Sie war damals Anfang zwanzig, hatte die deutsche Gründlichkeit verinnerlicht und begann ihre Arbeit mit der Überzeugung, alles, was europäisch sei, sei gut. „In fünf bis zehn Jahren sieht es hier so aus wie bei uns“, dachte sie damals. Die Fremden sollten so leben wie die Deutschen, damit es ihnen ebenfalls besser ging. Doch schnell merkte sie, dass das nicht funktionieren würde.
Apartheid in der Schule
Im Laufe ihrer Missionsarbeit wurde sie zur Leiterin einer Schule. Das Apartheidsystem nahm sie bis dahin nicht als Unrechtssystem wahr. Die Menschen, die sie unterrichtete, lebten in so verschiedenen Welten, hatten so unterschiedliche Erfahrungen, dass ihr eine Trennung der unterschiedlichen Ethnien auf unterschiedliche Schulgebäude logisch vorkam, um den unterschiedlichen Bedürfnissen gerecht zu werden. Erst später wurde ihr bewusst, wieviel Unrecht und Unterdrückung mit diesem System einhergingen.
Europäische Samen, afrikanische Blüten
Als sie einem Mädchen mit kranker Mutter keinen Platz an ihrer Schule anbieten konnte, weil es die falsche Hautfarbe hatte, stellte dies eine Zäsur in Sr. Justinas Leben dar. Sie konnte nicht so weitermachen wie bisher. Sie sah das Bedürfnis der einheimischen Bevölkerung, sich weiter zu entwickeln und setzte sich verstärkt für sie ein. Im Jahr 2001 verließ sie den Schuldienst und widmete sich Flüchtlingen, die der englischen Sprache nicht mächtig waren. „Ich selber habe erfahren, dass man nur ein halber Mensch ist, wenn man sich nicht verständigen kann“, erinnert sie sich an ihre Ankunft in Südafrika.
Rückblickend auf ihr Leben sagt sie: „Wir haben europäische Samen gesät, es gehen afrikanische Blüten auf, und die Früchte sind international. Aber im Kern hat sich vieles festgesetzt, was wir mitgebracht haben.“
Von Tobias Böcher, stadtgottes
Mit freundlicher Genehmigung von stadtgottes, Magazin der Steyler Missionare
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