Christen in der Türkei werden vom Staat kritisch beäugt
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Christen in der Türkei werden vom Staat kritisch beäugt

Türkei ‐ Als die Türkei noch „Kleinasien“ hieß, gehörte sie zu den Ursprungsländern des Christentums. Dann kam der Islam. Heute sind Christen dort eine kleine Minderheit. Erdogans Reislamisierung sehen viele mit Skepsis.

Erstellt: 23.05.2017
Aktualisiert: 08.02.2023
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Als die Türkei noch „Kleinasien“ hieß, gehörte sie zu den Ursprungsländern des Christentums. Dann kam der Islam. Heute sind Christen dort eine kleine Minderheit. Erdogans Reislamisierung sehen viele mit Skepsis.

Alexander Jernej ist gerade von einem Kirchenbesuch aus Izmir zurückgekehrt. Dort gibt es eine lokale Kirche apostolischen Ursprungs mit langer Tradition in der Türkei. Neben den „Levantinern“, den traditionellen Katholiken der Türkei, meist italienischen und französischen Ursprungs, gibt es auch neue Christen aus aller Herren Länder. „Die Gemeinden sind zum Teil zarte Pflänzchen“, sagt Jernej, Superior der österreichischen St. Georgs-Gemeinde in Istanbul. „Jetzt ist man dabei, sie behutsam zu pflegen.“ Insgesamt sei die Stimmung abwartend, etwas angespannt. „Man weiß einfach nicht, wie es sich weiterentwickelt.“

Am vergangenen Sonntag erst hat sich der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan zum Chef der AKP wiederwählen lassen. Nach dem Referendum zur Verfassungsänderung darf der türkische Präsident jetzt wieder Parteimitglied sein. Die neue Machtfülle erzeugt Skepsis bei Minderheiten und Oppositionellen.

Menschenrechtsorganisationen befürchten, dass Erdogan seine neue Machtfülle nutzt, um gegen Gegner jeder Art vorzugehen. Rund 140.000 Menschen wurden seit dem Putschversuch vom 16. Juli 2016 verhaftet oder suspendiert. Darunter ist auch der protestantische Pfarrer Andrew Brunson, der im September festgenommen wurde. Bei seinem Staatsbesuch in den USA setzte sich Präsident Trump für die Freilassung ein. Zudem sitzen mehr als 150 Journalisten im Gefängnis. Dass die Verhaftungswelle weitergehen wird, hat Erdogan klar gemacht, auch der Ausnahmezustand soll bis auf weiteres verlängert werden.

Der griechisch-orthodoxe Patriarch Bartholomäus I. ist selbst türkischer Staatsbürger. Zwar gibt es nur noch rund 3.000 orthodoxe Christen in der Türkei. Der Ökumenische Patriarch ist aber das Ehrenoberhaupt von rund 300 Millionen orthodoxen Christen weltweit. Er erhielt seine Ausbildung in der Priesterschule Chalki. Deren Wiedereröffnung ist eines der wichtigsten Anliegen der Gemeinde. Die Schule liegt auf der Prinzeninsel Heybeliada im Marmarameer. Sie galt als wichtigste Ausbildungsstätte für orthodoxe Priester. 1971 wurde sie geschlossen und blieb es trotz zahlreicher internationaler Appelle.

Priesterschule seit 46 Jahren geschlossen

Erdogan hatte die Wiedereröffnung bisher an den Bau einer Moschee in Athen geknüpft. Diese wurde zwar gebaut, weil aber Athen geflohene türkische Soldaten nicht ausliefert, will Ankara das Priesterseminar nicht wiedereröffnen. „Wir sind schlaflos, weil die Priesterschule seit 46 Jahren geschlossen ist“, sagte Bartholomäus Mitte Mai. Maximal könnten hier 150 Priester in einem fünfjährigen Studium ausgebildet werden.

„Die Situation der orthodoxen Christen hat sich seit dem Referendum weder verbessert noch verschlechtert. Für uns wäre wichtig, dass wir Gemeindewahlen abhalten können“, sagt Dositheos Anagnostopoulos, Sprecher des Patriarchats. „Die hierfür geltende Regelung wurde vor drei Jahren aufgehoben, aber seitdem nicht durch eine neue ersetzt.“

Darunter leidet vor allem die armenische Gemeinde, die zahlenmäßig größte. Der amtierende Patriarch Mesrob II. Mutafyan kann sein Amt wegen Krankheit nicht mehr ausführen. Ankara verweigert der Gemeinde Neuwahlen mit der Begründung, dass der amtierende Patriarch noch am Leben sei. Zwar wurde im März dieses Jahres der Deutsche Karekin Bekciyan zum Stellvertreter gewählt. Ankara aber erkennt die Wahl nicht an, und die armenische Gemeinde selbst ist mittlerweile gespalten. Das grundlegende Problem ist, dass religiöse Institutionen in der Türkei keine Rechtspersönlichkeiten sind und klare Regeln fehlen.

Immerhin, zur Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee ist es trotz vieler Befürchtungen nicht gekommen. Die einst größte Kathedrale der Christenheit wurde nach der Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen in eine Moschee umgewandelt. 1934 machte Staatsführer Kemal Atatürk daraus ein Museum. Seit Jahren fordern konservative Muslime die Rückumwandlung in eine Moschee. Erst Mitte Mai hatte sich dort eine Menschenmenge versammelt und das Morgengebet gesprochen.

Die Christen machen mit 100.000 bis 150.000 Gläubigen nur etwa 0,02 Prozent der Gesamtbevölkerung aus. Die größte Gruppe gehört der armenischen Apostolischen Kirche und der armenisch-katholischen Kirche an. Zudem gibt es 2.000 aramäische Christen.