Gewalt in Kamerun eskaliert

Gewalt in Kamerun eskaliert

Kamerun ‐ In den beiden englischsprachigen Provinzen Kameruns halten die Unruhen an. Eine Lösung des Konflikts ist nicht in Sicht.

Erstellt: 05.02.2018
Aktualisiert: 05.02.2018
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Es werden immer mehr, und es sind vor allem Frauen und Kinder, die aus ihrer Heimat Kamerun in das Nachbarland Nigeria flüchten. In den vergangenen Wochen registrierte das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) im Bundesstaat Cross River bereits mehr als 10.000 Menschen.

In Nigeria gibt es Gerüchte, dass die tatsächliche Zahl viermal so hoch ist. Grund dafür ist die schwere Krise in den kamerunischen Regionen Südwest und Nordwest. Es handelt um die einzigen der zehn Regionen Kameruns, in denen die Mehrheit der Bevölkerung Englisch statt Französisch spricht – und die sich von der Hauptstadt Jaunde zunehmend abgehängt fühlen.

Neuer Höhepunkt ist die Verhaftung von 47 Kamerunern in Nigeria und deren Auslieferung an die Behörden in ihrem Heimatland in der vergangenen Woche. „Besorgniserregend“ nannte das UNHCR den Vorfall. Unter den Oppositionellen befindet sich auch Sisiku Ayuk Tabe, der im vergangenen Jahr die beiden englischsprachigen Regionen zum unabhängigen Staat von Ambazonia erklärt hatte. Seine Frau Lilian Sisiku Tabe forderte die Regierung auf, einen Videobeweis zu liefern, um sicher zu sein, dass ihr Mann überhaupt noch lebt. Der sei weder ein Krimineller noch ein Terrorist.

Aus der Ferne wirken die Auseinandersetzungen wie ein aus dem Ruder gelaufener Sprachenstreit. Mehrsprachigkeit ist in Afrika allerdings der Normalfall. Alleine im westafrikanischen Benin, wo zehn Millionen Menschen leben, gibt es 64 Sprachen. Südafrika listet elf offizielle Sprachen auf, Ruanda hat mittlerweile vier. Dort ließ Präsident Paul Kagame (60) vor zehn Jahren sogar das komplette Bildungssystem von Französisch auf Englisch umstellen.

In Kamerun geht der eigentliche Konflikt um Gleichberechtigung und Zugang zur Macht. Englischsprachige Kameruner fühlen sich seit langem benachteiligt. Im November 2016 kam es zu Protesten, als die Regierung im anglophonen Teil mehrheitlich französischsprachige Lehrer einstellen wollte. Die Verantwortlichen taten seither wenig, um die Situation zu entschärfen. Kurz vor Beginn des Schuljahres 2017/2018 kündigte Bildungsminister Jean-Ernest Massina Ngall Bibehe an, mehrere Schulen müssten geschlossen bleiben. Zu Jahresbeginn berichteten zwar Zeitungen von Wiedereröffnungen. Doch viele Eltern sind unsicher, ob sie ihre Kinder wieder dorthin schicken können.

Fatal für einen Staat, in dem die Analphabetenraten bei 25 Prozent liegt. Laut Unesco schließen 30 Prozent der Kinder nicht einmal die Grundschule ab. In anderen Bereichen schneidet das Land mit seinen knapp 25 Millionen Einwohnern noch schlechter ab. So listet Transparency International Kamerun im Korruptionsindex auf Platz 145 von 176. Im Entwicklungsindex der Vereinten Nationen belegt es Rang 153 von 188.

Stillstand auch an der Spitze der Regierung. Paul Biya (84) ist nach Ahmadou Ahidjo erst der zweite Präsident Kameruns und seit 1982 an der Macht. Wahlen sind für dieses Jahr geplant. In der Vergangenheit hatte die Opposition jedoch nie eine Chance, den politischen Wechsel zu schaffen. „Heruntergewirtschaftet“ habe Biya sein Land, meinen Beobachter wie Frank Wiegandt von Misereor.

Die Wurzeln für den Konflikt in den beiden englischsprachigen Regionen reichen allerdings bis in die Kolonialgeschichte. Von 1884 bis 1919 war Kamerun deutsche Kolonie, wovon immer noch zahlreiche Spuren zeugen. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde ein großer Teil des Gebietes mit dem Vertrag von Versailles den Franzosen zugeschlagen, ein kleinerer Teil den Briten. 1961 votierten die Einwohner zweier englischsprachiger Regionen für die Zugehörigkeit zu dem ein Jahr zuvor von Frankreich unabhängig gewordenen Kamerun.

Das Land ist kein Einzelfall. Generell nehmen Separationsbestrebungen in Afrika wieder zu: In Nigeria fordert die IPOB-Bewegung, im Südosten den Staat Biafra zu schaffen – der in den 1960er-Jahren schon einmal existierte und Hunderttausende Menschen in Hunger und Tod führte. In Mali rief im April 2012 die Nationale Bewegung zur Befreiung des Azawad (MNLA) den Staat Azawad aus. Seither hält der Konflikt an – trotz des Friedensvertrags von Algier 2015.