Kamerun rutscht immer tiefer in die Krise

Kamerun rutscht immer tiefer in die Krise

Kamerun ‐ Im Südwesten Kameruns spitzt sich der Konflikt zwischen Sicherheitskräften und Befürwortern eines eigenen Staates weiter zu. Die Leidtragenden sind die Zivilisten, die die Region zu Tausenden verlassen.

Erstellt: 15.06.2018
Aktualisiert: 15.06.2018
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Im Südwesten Kameruns spitzt sich der Konflikt zwischen Sicherheitskräften und Befürwortern eines eigenen Staates weiter zu. Die Leidtragenden sind die Zivilisten, die die Region zu Tausenden verlassen.

In West- und Zentralafrika bahnt sich eine neue Flüchtlingskrise an. Grund dafür ist die anhaltende Gewalt im Südwesten Kameruns. In den englischen Provinzen Northwest und Southwest haben mittlerweile mindestens 186.000 Menschen ihre Häuser verlassen und sind auf der Flucht, schätzt Caritas Internationalis. Mindestens 26.000 von ihnen sind im Nachbarland Nigeria. Dort finden sie unter anderem im Bundesstaat Benue Unterschlupf, in dem es jedoch ebenfalls seit Monaten kriselt.

Die Krise schwelt bereits seit Ende 2016. In den betroffenen Regionen wird Englisch gesprochen; die Bewohner sind im Land eine Minderheit, sie machen etwa 20 Prozent der Gesamtbevölkerung von 25 Millionen aus. In der Vergangenheit klagten englischsprachige Kameruner immer wieder, dass sie – obwohl offiziell zweisprachig – in ihrem Heimatland ohne Französischkenntnisse keinerlei Chancen hätten und sich benachteiligt fühlten. Im November 2016 brachte eine Entscheidung der französisch dominierten Regierung in Yaounde das Fass zum Überlaufen: Sie stellte in der Region französischsprachige Lehrer ein, was zu schweren Protesten führte.

Seitdem werden Forderungen nach einer Teilung des Landes laut. Ambazonia soll der neue Staat heißen, für den die Unterstützer längst Homepages und sogar Pässe entworfen haben. Den Plan unterstützen verschiedene Rebellengruppen militärisch, von denen die Ambazonia Defence Forces (ADF) die wohl bekannteste ist.

In einem neuen Bericht kommt die Menschenrechtsorganisation Amnesty International zu dem Fazit, dass die Separatisten zur zunehmenden Gewalt in der Region beitrügen. Demnach wurden in den vergangenen Monaten 44 Soldaten von Separatisten ermordet und 42 Schulen angegriffen. In den vergangenen Wochen berichtete das Nachrichtenportal „africanews“ mehrfach über Entführungen von Lehrern und Schulleitern. Auch Schüler und Eltern werden offenbar regelmäßig von den Separatisten eingeschüchtert, falls sie sich dem Schulboykott widersetzen.

Doch auch den Sicherheitskräften werfen die Menschenrechtler schwere Verbrechen vor. In den vergangenen Monaten sollen mindestens 23 Menschen gefoltert worden sein, darunter auch Kinder. Außerdem seien Dörfer zerstört worden. „Menschen in der englischsprachigen Region sind in einer Gewaltspirale gefangen. Die Ermordungen, Verhaftungen und Folter während der Militäreinsätze sind der Grund, weshalb Tausende Zivilisten geflüchtet sind“, sagt Samira Daoud, stellvertretende Amnesty-Regionaldirektorin für West- und Zentralafrika.

Die Gewalt wird jedoch noch von einer anderen Entwicklung geschürt. Bereits Anfang des Jahres wurden bekannte Befürworter der Unabhängigkeit verhaftet, zum Teil in Nigeria, von wo aus sie nach Kamerun ausgeliefert wurden. Bis heute ist Experten zufolge unklar, wie es ihnen geht. Die Wochenzeitung „Jeune Afrique“ berichtete, einer von ihnen sei zu einer 15-jährigen Haftstrafe verurteilt worden. Der Vorwurf lautete Terrorismus.

Vermittlungen sind bisher gescheitert. Auch die katholische Kirche hatte sich im April als Mediator angeboten und mehrfach die anhaltende Gewalt verurteilt. Laut des Thinktanks International Crisis Group (ICG) mit Sitz in Brüssel kamen allein im Mai wieder 60 Menschen ums Leben.

All das geschieht nur wenige Monate vor der Präsidentschaftswahl, die für Oktober geplant ist. Amtsinhaber ist der 85-jährige Paul Biya, der seit 1982 an der Macht und nach Ahmadou Ahidjo erst der zweite Präsident des Landes ist. In der Vergangenheit konnte sich die Opposition nie auf einen Kandidaten einigen. Auch bei dieser Wahl dürfte es wieder zahlreiche Bewerber geben.

Kamerun war einst deutsche Kolonie. Auch der aktuelle Konflikt hat seine Wurzeln in der Kolonialzeit. Nach dem Ersten Weltkrieg fiel „Französisch-Kamerun“ Frankreich zu. Die Grenzgebiete zum heutigen Nigeria wurden britisch. Im Zuge der Unabhängigkeit entschied der muslimisch geprägte Norden, der an die heutigen Bundesstaaten Borno und Adamawa grenzt, per Abstimmung zu Nigeria zu gehen. Die beiden südlichen Provinzen gehören seit dem 1. Oktober 1961 zu Kamerun.

Von Katrin Gänsler (KNA)

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