Hilfe für Menschen am Tschadsee
Entwicklungspolitik ‐ Am Montag und Dienstag wird in Berlin um internationale Unterstützung für die Region um den Tschadsee geworben. Dort sind 2,4 Millionen Menschen auf der Flucht, unter anderem vor der Terrorgruppe Boko Haram.
Aktualisiert: 31.08.2018
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Am Montag und Dienstag wird in Berlin um internationale Unterstützung für die Region um den Tschadsee geworben. Dort sind 2,4 Millionen Menschen auf der Flucht, unter anderem vor der Terrorgruppe Boko Haram.
Die Zahlen steigen wieder an. Schon seit Monaten verlassen wieder mehr Menschen ihre entlegenen Dörfer im äußersten Nordosten Nigerias und suchen Schutz in größeren Orten, in den Camps für Binnenflüchtlinge oder bei Verwandten. Die Angst vor neuen Anschlägen und Überfällen durch die beiden Fraktionen der Terrorgruppe Boko Haram ist groß.
Es ist aber auch Versorgungsnot, die sie zur Flucht treibt. In der Region, die so abgeschieden wie keine andere in Nigeria ist, werden seit Jahren die Felder nicht mehr bestellt. Lebensmittel können aufgrund von mangelnder Infrastruktur und ständigen Überfällen nicht transportiert werden. Hilfsorganisationen erreichen Einsatzorte mitunter nur mit Hubschraubern. In Nigeria sowie in den Nachbarländern Niger, Tschad und Kamerun sind nach Einschätzung des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP) 10,7 Millionen Menschen aufgrund dieser Krise dringend auf Unterstützung angewiesen. 2,4 Millionen sind auf der Flucht.
Darüber wird am Montag und Dienstag in Berlin im Rahmen der Tschadsee-Konferenz gesprochen. Nach Oslo im Februar 2017, als 672 Millionen US-Dollar an Hilfsgeldern zusammenkamen, ist es das zweite große Treffen, zu dem Deutschland, Nigeria, Norwegen sowie die Vereinten Nationen einladen. Es ist mit hochrangigen Experten besetzt, die in der krisengebeutelten Region nach Lösungen suchen sollen . In Nigerias Hauptstadt Abuja fordert der katholische Priester Atta Barkindo aber: „Wir müssen den Menschen vor Ort zuhören, wissen, welche Sorgen sie haben. Jeder Lösungsansatz muss mit ihnen gemeinsam entwickelt werden.“
Der 42-Jährige hat gerade seine Promotion zum Thema „Konflikt und Terrorismus im Sahel“ an der Schule für Orient- und Afrikastudien (SOAS) in London abgeschlossen und leitet das Kukah Centre. Das Zentrum, das Konflikte erforscht sowie Programme zu guter Regierungsführung und zum interreligiösen Dialog organisiert, wurde vom Bischof von Sokoto, Matthew Hassan Kukah, gegründet. Barkindo selbst ist im Bundesstaat Adamawa groß geworden, dessen Norden einige Zeit von Boko Haram besetzt war, wo seine Eltern einst vom Islam zum Christentum konvertierten. Vor seinem Aufenthalt in Großbritannien studierte der katholische Priester unter anderem Arabisch und Islamwissenschaften in Kairo.
Dass der Konflikt, der sich vor neun Jahren verschärfte, bis heute nicht einzudämmen ist, hat aber noch weitere Gründe: „Erinnerungen und Wut sind noch ganz frisch. Die Regierung hat keine Plattform geschaffen, um das zu verarbeiten. Es gibt keine Maßnahmen, die zu einer Versöhnung führen könnten“, so Barkindo.
Eine bessere Einbindung der Bevölkerung vor Ort fordert auch Moshood Raimi, der für die nichtstaatliche Organisation Nigeria Ingo Forum arbeitet. „Ihre Ansichten bei der Planung und Durchführung von Hilfs- und Friedensaktivitäten werden in gewisser Weise sogar unterdrückt.“
Große Probleme gebe es auch bei der Grundversorgung. „Die Finanzierung reicht nicht aus.“ UN-Zahlen zufolge haben fünf Millionen Menschen in dem betroffenen Gebiet nicht ausreichend Zugang zu Nahrung. 490.000 Kinder leiden an akuter Mangelernährung. Verschiedene Organisationen betonen allerdings, dass bis heute nicht alle Gegenden erreicht werden könnten. Die Zahlen dürften also durchaus höher liegen. „Wir fordern von der internationalen Gemeinschaft den festen Willen, sich um diese Notlage zu kümmern“, so Raimi.
Instabil ist die Situation ebenfalls in den Nachbarländern, die im Laufe der Jahre immer stärker in den Konflikt gezogen wurden. Zuerst zogen sich die Terroristen in den Niger, nach Tschad und Kamerun zurück, verübten dort später aber auch Anschläge. Aufgrund der seit Jahren anhaltenden Wirtschaftskrise gilt aktuell vor allem der Tschad als desolat. Massive wirtschaftliche Unzufriedenheit hat letztendlich Anfang der 2.000er Jahre zum Aufstieg von Boko Haram beigetragen. Die ist bis heute spürbar. Deshalb, so Atta Barkindo, gelingt es der Miliz weiterhin, neue Mitglieder zu rekrutieren.
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