Missionar: Krise im Südsudan hält an

Missionar: Krise im Südsudan hält an

Südsudan ‐ Papst Franziskus hat sich um große Gesten bei dem Friedenstreffen für den Südsudan im Vatikan bemüht. Doch die beiden Kontrahenten Salva Kiir und Riek Machar haben längst nicht mehr die Kontrolle über die Kämpfe im Land, weiß Comboni-Missionar Gregor Schmidt.

Erstellt: 15.04.2019
Aktualisiert: 30.11.2022
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Papst Franziskus hat sich um große Gesten bei dem Friedenstreffen für den Südsudan im Vatikan bemüht. Doch die beiden Kontrahenten Salva Kiir und Riek Machar haben längst nicht mehr die Kontrolle über die Kämpfe im Land, weiß Comboni-Missionar Gregor Schmidt.

Frage: Pater Schmidt, Papst Franziskus hat die beiden Erzrivalen, Südsudans Präsident Salva Kiir und Oppositionsführer Riek Machar, zur geistlichen Einkehr in den Vatikan eingeladen und um den Einsatz für Frieden gebeten. Wie bewerten Sie das Treffen?

Pater Gregor Schmidt: Das Treffen geht auf eine Initiative des anglikanischen Erzbischofs von Canterbury, Justin Welby, zurück. Der Präsident ist katholisch, sein Rivale Protestant. Es ist gut, in dieser festgefahrenen Situation die Politiker auf die Verantwortung vor Gott hinzuweisen und für echte Umkehr der Kontrahenten zu beten. Dass das Treffen im Vatikan stattgefunden hat, freut mich sehr, denn es unterstreicht, wie sehr der katholischen Kirche an einem gerechten Frieden liegt.

Bild: © KNA

Frage: Glauben Sie, dass die Gesten des Papstes, etwa die Fußküsse, bei den beiden Machthabern ein Umdenken auslösen könnten?

Schmidt: Vielleicht, aber Ihre Frage unterstellt, dass die beiden tatsächlich Macht hätten, den Konflikt entscheidend zu beeinflussen. Der Präsident Salva Kiir ist eine Marionette seiner Berater und des Dinka-Ältestenrates (Jing Council). Es sind andere Dinka, die die Strippen ziehen und dafür sorgen, dass die wichtigen Positionen im Land von ihnen kontrolliert werden. Die Wahrheit über Riek Machar ist, dass er lediglich Repräsentant seines Volkes der Nuer ist und nicht die Opposition als Ganze vertritt. Es gibt unzählige andere Oppositionsgruppen, die sich weder von den Dinka noch von den Nuer regieren lassen wollen.

Das aktuelle Friedensabkommen basiert auf anderen Abkommen, die die Situation am Anfang des Bürgerkrieges widerspiegeln, als es tatsächlich nur eine Opposition gegeben hat. Aber nach zwei Jahren waren die Nuer praktisch besiegt und haben sich seitdem in ihrem Territorium verschanzt. Die Regierung kontrolliert im Nuer-Gebiet die Städte, die Rebellen das umliegende Buschland. Als klar war, dass es sich um eine Patt-Situation handelt, hat sich die Dinka-Regierung den Völkern der Equatoria-Region gewidmet und eine Millionen Bürger über die Grenze nach Uganda vertrieben. Beobachter haben zahlreiche ethnische Säuberungen belegt. Insgesamt ist die Situation im Land anarchisch, da fast alle Männer in diesem Land ein halb-automatisches Gewehr besitzen und es keine geordnete Befehlsstruktur wie in einer regulären Armee gibt, auch nicht auf Seiten der Regierung.

Ein weiteres Problem ist, dass Motive für Gewalt sich vermischen. Neben Kriegshandlungen gibt es erschreckend viel Bandengewalt und Kriminalität, weil Gesetzlosigkeit herrscht, und es gibt das traditionelle Morden beim Rinderraub. Manchmal ist gar nicht klar, ob es sich um Rachemorde wegen Rinderraub handelt, um Bandenkriminalität, oder ob die Tat dem Bürgerkrieg zuzurechnen ist.

Salva Kiir und Riek Machar haben ein Interesse an ihren Positionen, um der Macht willen. Sie haben aber wenig Einfluss darauf, was tatsächlich vor Ort im Busch passiert. Es wäre das Beste, wenn beide ihre Schuld eingestünden und zurückträten.

„Es wäre das Beste, wenn beide ihre Schuld eingestünden und zurückträten.“

—  Zitat: Pater Gregor Schmidt, Comboni-Missionar

Frage: Am Mittwoch wurde unterdessen im Nachbarland Sudan der Präsident gestürzt. Welche Auswirkungen hat das auf den Friedensprozess im Südsudan?

Schmidt: Es muss sich zunächst zeigen, wer in Zukunft den Sudan regieren wird. Die Interessen des Sudan im Südsudan werden sich aber wahrscheinlich nicht ändern. Es soll weiterhin das Öl fließen durch die Pipeline nach Port Sudan. Das sind wichtige Einnahmen für den Norden. Aus diesem Grund bin ich überzeugt, dass die Regierung in Karthum Ruhe im Südsudan unterstützt, obwohl „Ruhe“ nicht unbedingt Frieden bedeutet.

Eine neue Führung im Sudan betrifft aber Millionen von Südsudanesen, die dort dauerhaft bzw. vorübergehend leben. Für diese Menschen kann sich etwas zum Besseren oder Schlechteren ändern. Im Augenblick werden sie geduldet. Für viele ist Karthum ein Schlupfwinkel geworden, weil es im eigenen Land zu gefährlich oder unerträglich ist. Aus meiner Pfarrei sind viele Menschen in den Norden ausgewandert

Frage: Im Bürgerkrieg im Südsudan haben Verbrechen gegen die Menschlichkeit stattgefunden, Experten sprechen von ethnischen Säuberungen durch die Regierung. Ist eine Verfolgung und Aufarbeitung dieser Verbrechen absehbar?

Schmidt: Es gibt keine unabhängige Gerichtsbarkeit und keine Gewaltenteilung im Südsudan trotz einer provisorischen Konstitution. Daher wird es intern niemals zur Verfolgung und Aufarbeitung dieser Verbrechen kommen. Davon abgesehen sind die staatlichen Institutionen inkompetent und korrupt. Sie versagen in allen Aspekten der Zivilverwaltung wie Bildung, medizinischer Versorgung und Infrastrukturprogrammen. Alle diese Bereiche sind an die UNO, die NGOs, die Kirchen und an chinesische Firmen delegiert worden. Wie soll dann in einem komplizierten Gerichtsprozess der Krieg ehrlich aufgearbeitet werden, wenn Basiskompetenzen für eine funktionierende Verwaltung fehlen?

Eine Aufarbeitung der Verbrechen wäre nur durch ein internationales Tribunal wie im Jugoslawienkrieg möglich. Dazu müsste aber die UNO Krieg gegen die Dinka-Regierung führen, wie die NATO in Jugoslawien, und den Krieg auch noch gewinnen. Das wird niemals geschehen, weil keine Regierung ihre Soldaten im Südsudan opfern möchte. Politisch lässt sich das zuhause nicht verkaufen. Ich würde so ein Unterfangen auch ablehnen. Die Folge aber ist, dass es keine Verfolgung der schrecklichen Verbrechen geben wird.

Bild: © Gregor Schmidt

Frage: Was erwarten Sie von der Übergangsregierung, die im Mai ihre Arbeit aufnehmen soll?

Schmidt: Die Übergangsregierung wird im Mai nicht mit der Arbeit beginnen, weil die Stufen vorher noch nicht implementiert worden sind, z. B. die Zusammenlegung der Armee unter ein Kommando und die Entmilitarisierung der Hauptstadt. Das wird meiner Einschätzung nach nur schwer geschehen.

Ein anderes Problem mit der neuen Vereinbarung ist, dass es jetzt fünf Vizepräsidenten gibt, um möglichst viele Gruppen einzubinden. Politische Macht verhält sich aber wie ein Kuchen: Je mehr Leute mitessen, um so kleiner ist das eigene Stück. Weil am Ende alle feststellen, dass sie weniger Einfluss haben, als sie beanspruchen, werden die Unzufriedenheit und die unüberbrückbaren Gegensätze möglicherweise wieder dazu führen, dass die Übergangsregierung zerbricht und die Leute wieder zu den Waffen greifen. Ich weiß aus Diplomatenkreisen, dass alle Seiten unter der Hand aufrüsten. Niemand vertraut dem anderen.

Die aktuelle Vereinbarung wurde den Kontrahenten aufgezwungen, um die Interessen des Sudan und Ugandas zu sichern. Riek Machar wurde gewarnt, dass Karthum seine persönliche Sicherheit nicht mehr garantiert, wenn er nicht unterschreibt. Salva Kiir hat gespürt, dass der Geldhahn der internationalen Gemeinschaft zugesperrt wird, wenn er sich nicht bewegt.

Ich halte das Manöver der Regierung mit der Friedensvereinbarung für einen Trick, um die Gelder der UNO und der Hilfsorganisationen so lange wie möglich einzustreichen. Hunderte Millionen Dollar an Hilfsgeldern werden ins Land gespült, wovon über die Hälfte, oder sogar mehr als zwei Drittel, im System versanden. Nur ein geringer Anteil kommt tatsächlich den Menschen zu Gute. Die Zentralbank legt beispielsweise einen schlechteren Umtauschkurs für internationale Organisationen fest, um so zirka ein Drittel der Dollars aus Hilfsgeldern für die Regierung abzuzweigen. Ein Arbeitsvisum für Ausländer im humanitären Hilfssektor kann pro Jahr bis zu 4.000 Dollar kosten. Damit verdient die Regierung etliche Millionen von Dollar. Es ist leider so, dass die Regierung weiß, dass es einen Hilfskomplex des Westens gibt, und sie weiß, wie die Kuh gemolken wird.

Frage: Was kann die Kirche im Land, auch die Comboni-Missionare, in dem Friedensprozess tun?

Schmidt: Die katholische Kirche, zusammen mit den anderen Kirchen im South Sudan Council of Churches, muss weiterhin das Evangelium verkünden, welches uns Gott als barmherzigen Vater vorstellt und die Jünger Jesu auffordert genauso mit dem Nächsten, ja sogar mit dem Feind, umzugehen (Lk 6,27-36). Die Mehrheit der Südsudanesen sind Christen. Es geht um einen Mentalitätswandel, dass nicht mehr die Ethnie oder die Sippe definiert, wem man Vertrauen schenkt und wem nicht. Das Evangelium und die Bibel zeigen klar, was einen gerechten, ehrlichen Menschen ausmacht. Dies sollte der Maßstab sein, um eine gerechte Gesellschaft aufzubauen.

So einen Mentalitätswandel kann man aber nicht in einem Workshop vermitteln, wie es das Modell der NGOs ist, indem sie eingeflogen werden, mit einem Übersetzer wichtige Gedanken vortragen und danach wieder wegfliegen. Eine friedvolle und versöhnliche Lebenshaltung muss im Alltag vorgelebt werden. Das ist die Stärke der Kirche und der Missionare. Wir leben mit den Menschen und leiden mit ihnen. Ich lebe seit Beginn des Krieges bei den Nuer im Oppositionsgebiet. Jesus Christus hat Menschen verändert und bekehrt, indem er konkret geliebt hat und sich zum Diener aller gemacht hat. Wir Missionare bemühen uns, Sprache und Kultur zu lernen. Das wird von den Menschen honoriert, und sie werden bereit, sich der Perspektive des Evangeliums zu öffnen, weil wir uns ihrer Perspektive geöffnet haben. Unsere aktiven Katholiken sind merklich weniger gewaltaffin als der Durchschnitt. Es braucht aber Geduld. Jesus erklärt, dass das Reich Gottes wie ein Baum wächst, langsam aber stetig.

Das Interview führte Claudia Zeisel.

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