Flächenbrand in Lateinamerika
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Flächenbrand in Lateinamerika

Menschenrechte ‐ In vielen lateinamerikanischen Ländern gibt es soziale Proteste und Aufstände gegen die herrschenden Eliten. Für die lateinamerikanische Kirche bietet das einige Chancen: Als Vermittler zu fungieren und sich selbst neu aufzustellen.

Erstellt: 21.11.2019
Aktualisiert: 21.11.2019
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In vielen lateinamerikanischen Ländern gibt es soziale Proteste und Aufstände gegen die herrschenden Eliten. Für die lateinamerikanische Kirche bietet das einige Chancen: Als Vermittler zu fungieren und sich selbst neu aufzustellen.

Nun also auch Kolumbien: Nach den Unruhen in Chile, die immerhin in eine historische Abmachung mündeten, die eine neue Verfassung ermöglichen soll, sozialen Protesten in Ecuador, einem Aufstand gegen mutmaßlichen Wahlbetrug in Bolivien, dem Wiederaufleben der Großdemonstrationen in Venezuela und den Dauerprotesten in Nicaragua, sollen am Donnerstag auch in Kolumbien die Räder still stehen.

Die Forderungen an die konservative Regierung von Präsident Ivan Duque werden von einem breiten Bündnis aus Zivilgesellschaft und Opposition getragen. Die kolumbianische Bischofskonferenz erklärte, die Mobilisierung sei ein demokratisches Recht: „Der Weg zur Überwindung der sozialen Probleme und einer nachhaltigen Entwicklung unseres Landes geht über das Zuhören und den Dialog mit der Teilnahme aller sozialen Akteure”, schrieben die Bischöfe am vergangenen Wochenende.

Für die lateinamerikanische Kirche ist die aktuelle Entwicklung nicht nur besorgniserregend, sie ist auch eine Chance zur inhaltlichen und organisatorischen Neustrukturierung. Der Lateinamerikanische Bischofsrat CELAM trifft sich in dieser Woche in der kolumbianischen Hauptstadt Bogota, um sich und seine Struktur zu überdenken. Mit der Schaffung des kirchlichen Amazonas-Netzwerks Repam ist in den vergangenen Jahren bereits ein strategisch kluger Schritt gelungen, die Kräfte im Kampf gegen Umweltzerstörung in der Region zu bündeln. Nun sollen ähnliche Schritte auch im Kampf für die Menschenrechte unternommen werden, heißt es aus dem Umfeld des CELAM.

Zu tun gäbe es in diesen Tagen genug, denn Lateinamerika kommt einfach nicht zur Ruhe. Und fast immer sind es die gleichen Themen, die die Menschen vor Ort auf die Straße gehen lassen. Venezuela erlebt seit Jahren einen Massenprotest gegen die sozialistische Regierung von Präsident Nicolas Maduro. Doch weil der sich mit Hilfe von brutaler Gewalt an der Macht hält, verlassen Millionen Menschen das Land und verschärfen so die sozialen Konflikte in den Nachbarregionen.

Ähnlich ist die Lage in Nicaragua, wo seit gut einem Jahr vor allem Studenten gegen das sandinistische Ehepaar Daniel Ortega und Rosario Murillo an der Staatsspitze demonstrieren. Die Polizei geht nicht zimperlich mit den Demonstranten um: Über 350 Tote sind die aktuelle Bilanz. In dieser Woche attackierten die Sandinisten gleich zwei katholische Kirchen, in denen Mütter politischer Gefangener einen Hungerstreik begonnen hatten, und wendeten dabei teils brutale Gewalt an.

In den vergangenen Monaten kamen die Konflikte in Chile, Bolivien und Ecuador hinzu. In Chile ist es der Ruf nach einer neuen Verfassung und einer sozialeren Politik, in Ecuador waren die Bürger nicht bereit, für einen Deal der Regierung mit dem Internationalen Währungsfonds über den Subventionsstopp für Benzin und Diesel zu bezahlen. Und in Bolivien wehrten sich Millionen Menschen gegen den mutmaßlichen Wahlbetrug der Regierung des inzwischen ins Exil geflohenen Präsidenten Evo Morales.

Der lateinamerikanische Bischofsrat CELAM hat nun angesichts der aktuellen Krisen in Lateinamerika alle Beteiligten zu mehr Interesse am Gemeinwohl aufgerufen. In der gesamten Region erlebe man eine Art „sozialer Explosion”, die es bisher nicht gegeben habe, sagte CELAM-Präsident Miguel Cabrejos. Der Erzbischof der peruanischen Diözese Trujillo verwies auf die angespannte Lage in den Ländern Bolivien, Venezuela, Haiti, Honduras, Nicaragua, Puerto Rico, Ecuador, Chile und Peru. „Die Gründe für die Unruhen sind Korruption, ein Mangel an Demokratie, Armut, Ungleichheit, Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung, aber auch ein kaum funktionierendes Gesundheits-, Bildungs- und Transportwesen”, so Cabrejos.

Der Erzbischof verurteilte Gewalt jedweder Art und rief zu einer friedlichen Lösung der Konflikte auf, die nur durch einen Dialog aller wichtigen Akteure und Institutionen zu erreichen sei. Die verantwortlichen Politiker mahnte er, dass Immunität nicht zu Straflosigkeit führen dürfe.

Die katholische Kirche bemüht sich in nahezu allen Ländern um eine aktive Rolle in der Vermittlung. In Ecuador gelang es der Kirche, zusammen mit der UN die Konfliktparteien an einen Tisch zu bringen. Die Unruhen gingen zu Ende, nun wird nach einer Lösung gesucht. Auch in Bolivien versucht die Kirche zu vermitteln. In Nicaragua und Venezuela bleibt den lokalen Geistlichen nichts anderes übrig, als den von der Regierung verfolgten Oppositionellen Schutz zu bieten oder aktiv die Not über Hilfsprogramme zu leisten. In Chile wird sie selbst zur Zielscheibe: In den vergangenen Wochen wurden ein halbes Dutzend Kirchen Opfer von Vandalismus und Zerstörung.

Der Bischofsrat CELAM mit Sitz in der kolumbianischen Hauptstadt Bogota hatte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wichtige Impulse zur Entwicklung von Theologie und Gemeindestrukturen in Lateinamerika geliefert. In jüngerer Zeit war seine Rolle merklich schwächer geworden. Mit der Amazonas-Synode in Rom und dem inzwischen immer aktiver werdenden Amazonas-Netzwerk Repam ist eine gemeinsame lateinamerikanische Stimme aber wieder lauter zu hören.

Von Tobias Käufer (KNA)

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