Äthiopien und Ägypten streiten um Mega-Staudamm

Äthiopien und Ägypten streiten um Mega-Staudamm

Konflikte ‐ Äthiopien will die größte Talsperre Afrikas in Betrieb nehmen. Die Nachbarn sehen ihre Wasserversorgung massiv bedroht. Doch aus der diplomatischen Krise könnte eine „Chance für die ganze Region“ werden, meinen Experten.

Erstellt: 13.06.2020
Aktualisiert: 08.06.2020
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Äthiopien will die größte Talsperre Afrikas in Betrieb nehmen. Die Nachbarn sehen ihre Wasserversorgung massiv bedroht. Doch aus der diplomatischen Krise könnte eine „Chance für die ganze Region“ werden, meinen Experten.

Der Nil ist Ägyptens Lebensader. Doch was passiert, wenn sie gekappt wird? Die Regierung in Kairo fürchtet ausgetrocknete Felder und Wassernot. Auslöser dieser Katastrophe wäre aber nicht der Klimawandel, sondern ein Jahrhundert-Bauprojekt in Ostafrika. Geht es nach der äthiopischen Regierung, könnte Ägyptens Albtraum bald Realität werden.

Mit 74 Milliarden Kubikmetern aufgestauten Wassers wäre die „Grand Ethiopian Renaissance“-Talsperre der größte Damm Afrikas. Seit knapp zehn Jahren bauen die Äthiopier an dem vier Milliarden Euro teuren Megaprojekt. Nun, da die Staumauer zu drei Vierteln fertiggestellt ist, wollen die Verantwortlichen in Addis Abeba im Juli beginnen, den Blauen Nil in dem gigantischen Becken aufzustauen.

Doch für das zweitbevölkerungsreichste Land des Kontinents ist GERD, so die offizielle Abkürzung, mehr als nur ein Damm und Kraftwerk. Die Talsperre soll der Region Entwicklung bringen. Derzeit sind nur 45 Prozent der Äthiopier ans Stromnetz angeschlossen. Durch die Verdoppelung der Stromproduktion aus Wasserkraft könnte Äthiopien das UN-Entwicklungsziel von „moderner und leistbarer Energie“ erreichen. „Die Ägypter haben besseren Zugang zu Strom als wir. Unseren Studenten und Haushalten fehlt dieser Zugang“, zitiert das Nachrichtenportal FanaBC den äthiopischen Kardinal Berhaneyesus Souraphiel. Niemand wolle damit anderen Nil-Staaten schaden.

„In dem Moment, in dem das Projekt angekündigt wurde, erfüllte es die Äthiopier mit Stolz. Millionen von ihnen beteiligten sich daran durch den Kauf von Anleihen“, berichtet der sudanesische Journalist Yaseen Mohmad Abdalla. Gar nicht begeistert sind Äthiopiens Nachbarn Sudan und Ägypten. Die beiden Länder durchfließt der Nil auf seinem Weg ins Mittelmeer.

Berechnungen haben ergeben, dass Ägypten 14 Prozent des Nilwassers und 18 Prozent seines Agrarlands verlöre, wenn Äthiopien den See binnen zehn Jahren aufstaute. Bei einer Stauzeit von sieben Jahren, wie sie die Regierung von Ministerpräsident Abiy Ahmed anstrebt, würde Ägypten sogar 22 Prozent des Nilwassers und etwa 30 Prozent seines fruchtbaren Bodens einbüßen. Das wäre nach Ansicht ägyptischer Politiker ein Desaster. Entsprechend groß ist der Zorn in Kairo.

UNO und EU für baldige Lösung

„Ägypten beansprucht ein 'historisches Recht' auf das Nilwasser und führt dabei Verträge von 1929 und 1959 als Frage der nationalen Sicherheit an“, sagt Dawit Yohannes, Forscher am panafrikanischen Institut für Sicherheitsstudien (ISS) in Addis Abeba. Nach Ansicht des Konfliktforschers ist dieser Status quo aber „nicht länger tragbar“.

Streit herrscht nicht nur über den Zeitraum der Aufstauung; Ägypten schlägt ein bis zwei Jahrzehnte vor. In letzter Konsequenz stellt der Konflikt die Sicherheitsfrage für den Frieden in der gesamten Region Nordostafrika. Verhandlungen zwischen den beiden Ländern und dem Sudan waren im Februar gescheitert. Den USA, die als Vermittler hinzugezogen wurden, warf die äthiopische Seite vor, parteiisch zu sein. In der Vergangenheit kursierten sogar Berichte, wonach Ägyptens Regierung plant, den Damm notfalls zu bombardieren.

Die UNO drängt deshalb auf eine schnelle und dauerhafte Lösung. Auch die EU, die sich Ende Mai als Vermittlerin anbot, hält dies für „wichtig für die Stabilität der gesamten Region“. Vor wenigen Tagen dann ein kleiner Durchbruch: Die Streitparteien verkündeten, neue Gespräche aufnehmen zu wollen. Sicherheitsexperte Yohannes schätzt: „Am Ende werden die Verantwortlichen wieder zur Vernunft kommen und die Lage nicht weiter eskalieren lassen.“

Muss GERD ein Zankapfel sein? Die beiden in den USA forschenden Ökonomen Addisu Lashitew und Haim Kassa sind vom Gegenteil überzeugt. „Zugang zu Elektrizität ist entscheidend für die Armutsbekämpfung, für Wirtschaftswachstum und die industrielle Fertigung“, betonten sie Mitte Mai im Magazin „African Business“. Entsprechend sei der Staudamm eine „Chance“ für die ganze Region – eine friedliche Lösung vorausgesetzt.

Von Markus Schönherr (KNA)

© Text: KNA