152 Bischöfe erheben Vorwürfe gegen die Regierung Bolsonaro

152 Bischöfe erheben Vorwürfe gegen die Regierung Bolsonaro

Brasilien ‐ Brasilien erlebe wegen der Pandemie und der schweren Wirtschaftskrise einen der schwierigsten Momente seiner Geschichte, heißt es in einem Brief, der unter anderem von Kardinal Claudio Hummes (85) und dem emeritierten Amazonas-Bischof Erwin Kräutler unterzeichnet wurde.

Erstellt: 27.07.2020
Aktualisiert: 27.07.2020
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Eine Gruppe aus 152 Bischöfen, Erzbischöfen und emeritierten Bischöfen aus Brasilien wirft Medienberichten zufolge Präsident Jair Messias Bolsonaro und seiner Regierung Unfähigkeit angesichts der aktuellen Krisenlage vor. Brasilien erlebe wegen der Pandemie und der schweren Wirtschaftskrise mit ihren sozialen Folgen einen der schwierigsten Momente seiner Geschichte, so der unter anderem von Kardinal Claudio Hummes (85) und dem emeritierten Amazonas-Bischof Erwin Kräutler unterzeichnete Brief.

Der als „Brief an das Volk Gottes“ (Carta ao Povo de Deus) betitelte Text bezeichnet die aktuelle Krise als „perfekten Sturm“, für den zum großen Teil Bolsonaro verantwortlich sei. Brasilien sei ohnehin schon eine ungleiche, ungerechte und gewalttätige Gesellschaft. „Diese Realität lässt keine Gleichgültigkeit zu.“ Die Regierung sei jedoch untätig und lasse zu, dass Holzfäller, Goldsucher und Landwirte der Natur und neoliberale Wirtschaftsführer den Ärmsten schwere Wunden zufügten.

Zudem klagen die Kirchenvertreter die Covid-19-Politik der Regierung an: „Wir müssen den wissenschaftsfeindlichen Diskurs miterleben, der die Tausenden von Toten als etwas Normales erscheinen lassen will, so als ob sie das Ergebnis eines Zufalls seien oder einer göttlichen Strafe.“ Ebenso gleichgültig sei die Regierung gegenüber dem daraus folgenden wirtschaftlichen und sozialen Chaos. Ihr gehe es alleine um den Machterhalt.

Seit Beginn der Pandemie, die in Brasilien bereits nahezu 90.000 Todesopfer gefordert hat, hatte Bolsonaro das Virus als „kleine Grippe“ und die Maßnahmen zur Bekämpfung als „Hysterie“ bezeichnet. „Dieser Diskurs basiert nicht auf ethischen oder moralischen Grundsätzen“, so die Kirchenvertreter. Die von der Regierung eingeleiteten Wirtschaftsreformen würden zudem einen Neoliberalismus einführen wollen, der lediglich einer kleinen Gruppe Mächtiger diene und der großen Menge der Bevölkerung schade. Die Wirtschaftspolitik „töte“ mit ihrem Fokus auf „Gewinn um jeden Preis“.

In dem Brief heißt es weiter: „Ebenso erschüttert uns die Abneigung (der Regierung) gegenüber der Bildung, der Kultur, dem Gesundheitssystem und der Diplomatie.“ Die Regierung habe sich die Bildung und Kultur als Gegner ausgesucht, und genauso lehne sie die Presse- und Meinungsfreiheit ab. Zudem missbrauche die Regierung die Religion, um Hass zu säen und die Gesellschaft zu spalten.

Die Kritik der Kirchenvertreter sollte ursprünglich am vergangenen Mittwoch von der Bischofskonferenz veröffentlicht werden, wurde von dieser jedoch angeblich zur inhaltlichen Analyse zurückgehalten. Am Samstag veröffentlichte eine Journalistin der Zeitung „Folha de S. Paulo“ den Inhalt des Briefes. Einige der Unterzeichner hätten befürchtet, dass der konservative Flügel der Bischofskonferenz den Brief schlicht nicht veröffentlichen wolle, hieß es dazu.

Befreiungstheologe Frei Betto wirft Bolsonaro Völkermord vor

Der brasilianische Befreiungstheologe Frei Betto (75) hat die Corona-Krise in seiner südamerikanischen Heimat in einem Offenen Brief als Völkermord bezeichnet. Dem rechtspopulistischen Präsidenten Jair Messias Bolsonaro warf er vor, dieser wolle das Massensterben. Zudem spekuliere Bolsonaro darauf, dass der Tod alter und kranker Menschen das Rentensystem und die Gesundheitskassen entlaste. Brasilien stellte mit mehr als 65.000 Neuinfektionen am Mittwoch (Ortszeit) einen negativen Tagesrekord auf, die Zahl der Todesopfer erreichte 83.000.

Bolsonaro sei seit jeher vom Tod besessen, schreibt Betto. Er erinnert an ein TV-Interview von 1999, in dem Bolsonaro gesagt hatte: „Durch Wahlen werden Sie in diesem Land nichts ändern, nichts, absolut nichts! Es wird sich leider nur ändern, wenn wir eines Tages hier in einen Bürgerkrieg ziehen und die Arbeit tun, die das Militärregime nicht geleistet hat: 30.000 Menschen zu töten.“ Zudem erinnerte Betto an Bolsonaros Bewunderung für Folterer der Militärdiktatur. Der Präsident verfolge eine „nekrophile Politik“, weil ihm die Rettung der Wirtschaft vor Menschenleben gehe. Brasiliens Indigene würden derweil durch soziale und ökologische Attacken „dezimiert“.

© Text: KNA