
Myanmar hat gewählt - Hohe Wahlbeteiligung, noch kein Ergebnis
Asien ‐ Die Wahl in Myanmar bedeutet nach Ansicht von Vereinten Nationen, der EU sowie Menschenrechtsorganisationen zwar einen Meilenstein der demokratischen Reise. Aber das Ziel liegt laut Beobachtern noch in weiter Ferne.
Aktualisiert: 16.11.2020
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Die Wahl in Myanmar bedeutet nach Ansicht von Vereinten Nationen, der EU sowie Menschenrechtsorganisationen zwar einen Meilenstein der demokratischen Reise. Aber das Ziel liegt laut Beobachtern noch in weiter Ferne.
Stolz recken Wähler in Myanmar die blau gefärbte Kuppe des rechten Zeigefingers in Fernseh- und Handykameras. Seht her, ich habe gewählt, lautet die Botschaft der Menschen in dem südostasiatischen Land, das sich auf einem höchst holprigen Weg des Übergangs von einer Diktatur zu einer Demokratie befindet.
Die Bilanz von fünf Jahren Regierung der Nationalen Liga für Demokratie (NLD) unter der Führung von Aung San Suu Kyi ist ernüchternd. Ob Pressefreiheit, Religionsfreiheit oder Menschenrechte – mit allen Kernwerten einer Demokratie ging es unter dem Regime der Friedensnobelpreisträgerin rapide bergab. Gleichwohl wird „The Lady“ von den Bama, der alles dominierenden Mehrheitsethnie in Myanmar, als „Amay“, als Mutter verehrt – um so mehr, seit sie im Januar höchstpersönlich vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag die gewaltsame Vertreibung von mehr als 700.000 Rohingya rechtfertigte.
Nach der Schließung der Wahllokale am späten Nachmittag gab es zunächst noch keine Prognosen. Aber die langen Schlangen vor den Wahllokalen waren Anzeichen einer hohen Wahlbeteiligung. „Die Nationale Liga für Demokratie ist heute der überwältigende Favorit, aber es bleibt abzuwarten, ob sie zwei Drittel der zur Wahl stehenden Sitze im Parlament gewinnen kann“, hieß es am frühen Abend im Live-Wahlblog des Nachrichtenportals Frontier Myanmar. „Erreicht sie diese Marke, ist es garantiert, dass sie den Präsidenten stellen und eine Regierung bilden kann.“
Damit haben sich Befürchtungen in Luft aufgelöst, die Corona-Pandemie könnte viele Menschen vom Gang zur Wahlurne abhalten. Fotos und Videos vom Wahltag zeigen Menschen, die Masken tragen. In blaue Schutzanzüge gekleidete Helfer verteilten vor den Wahllokalen Handdesinfektionsmittel. Allerdings war wegen des großen Andrangs das Abstandhalten oft nicht möglich.
Für eine beruhigende Nachricht sorgte am Wahltag Armeechef Min Aung Hlaing mit der Ankündigung, jedes Wahlergebnis akzeptieren zu wollen. In den Tagen zuvor hatte der General mit harscher Kritik an der Wahlkommission und der Feststellung, der Schutz der Verfassung sei die vornehmste Aufgabe der Armee, Ängste vor einem neuen Militärputsch ausgelöst.
Min Aung Hlaing ist der starke Mann Myanmars und – wie viele sagen – der eigentliche Regierungschef. Die Verfassung garantiert der Armee das Recht zur Besetzung der sicherheitsrelevanten Ministerien für Inneres, Verteidigung und Grenzschutz. Zudem besetzt das Militär ein Viertel der Parlamentssitze mit handverlesenen Soldaten.
Die schlechte Nachricht: Mehr als 1,5 Millionen Angehörige ethnischer Minderheiten wurden unter dem Vorwand von Sicherheitsbedenken von der Wahl ausgeschlossen, darunter im westlichen Teilstaat Rakhine Hunderttausende Rohingya. Ebenfalls in Rakhine wurde die Wahl auch in Gebieten suspendiert, die mehrheitlich von der buddhistischen Bevölkerungsmehrheit der Arakanesen bewohnt sind. Das, so westliche Diplomaten, spiele in die Hände der gut bewaffneten Arakan Army, die sich seit fast zwei Jahren in Rakhine in einem brutalen Krieg mit der Armee von Myanmar befindet.
Per Gesetz sind zudem die rund fünf Millionen Migrantenarbeiter in den Nachbarländern, Hunderttausende Geflüchtete in den Lagern in Thailand und in Myanmar, und selbst die 500.000 Kleriker aller Religionen von der Wahl ausgeschlossen. „Als Kardinal kann ich Stellungnahmen abgeben und Reden halten und Leute ermutigen zu wählen. Aber ich selbst darf nicht wählen“, klagte der Erzbischof von Rangun, Kardinal Charles Bo, kurz vor der Wahl gegenüber katholischen Medien.
Seit dem frühen Abend feiern Zehntausende NLD-Anhänger dicht gedrängt vor der Parteizentrale in Rangun den erwarteten Wahlsieg von Aung San Suu Kyi. „Das Virus ist uns egal. Es ist völlig in Ordnung, wenn ich mich infiziere. Ich werde die ganze Nacht feiern“, sagt eine Frau, deren Gesichtsmaske ein Konterfei von Aung San Suu Kyi ziert, der Zeitschrift „Frontier Myanmar“. Derweil klatscht die Menge rhythmisch, schwenkt NLD-Fahnen und skandiert: „Amay (Mutter) Suu muss gewinnen.“
Partei von Aung San Suu Kyi gewinnt Wahlen in Myanmar
Die Regierungspartei Nationale Liga für Demokratie (NLD) von Staatsrätin Aung San Suu Kyi hat die Parlamentswahl in Myanmar gewonnen. Die NLD verfüge im neuen Parlament über genügend Sitze, um wieder die Regierung zu bilden, berichteten Medien in Myanmar am Freitag unter Berufung die Wahlkommission.
Von den bisher 412 ausgezählten Wahlkreisen habe die NLD 346 gewonnen. 322 Sitze seien für eine Regierungsmehrheit erforderlich. Die wichtigste Oppositionspartei, die vom mächtigen Militär unterstützte Partei für Solidarität und Entwicklung der Union (USDP), hat nach den offiziellen Teilergebnissen 24 Sitze gewonnen. Die NLD gewann bei den letzten Wahlen im Jahr 2015 mit ähnlichem Vorsprung die erste freie Abstimmung seit dem Ende der Militärherrschaft.
Internationalen Wahlbeobachtern zufolge ist die Abstimmung ohne größere Unregelmäßigkeiten verlaufen. Kleinere Parteien wie die USDP klagten jedoch über Benachteiligungen in einigen Wahlkreisen und legten Beschwerde ein.
Die Wahl galt als ein Referendum über die Regierung von Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi, die im eigenen Land sehr beliebt ist. Ihr Ruf im Ausland als „Demokratieikone“ hat wegen des Vorwurfs des Völkermords an der muslimischen Minderheit der Rohingya und des Niedergangs demokratischer Freiheiten in ihrer Regierungszeit gelitten.
Wahlkampf in Myanmar geprägt von religiöser Polarisierung
Der Wahlkampf zur zweiten demokratischen Wahl seit dem Ende der Militärdiktatur in Myanmar war laut Beobachtern geprägt von einer Atmosphäre religiöser Polarisierung. Inmitten der Corona-Pandemie und von Bürgerkriegen zwischen der Armee und den um Autonomie kämpfenden Milizen der ethnischen Minderheiten wurde am Sonntag ein neues Parlament bestimmt. Wegen der Pandemie seien die religiösen Hasskampagnen in die Sozialen Medien verlagert worden, zitierte der asiatische Pressedienst Ucanews (Samstag) aus einer aktuellen Studie des in Großbritannien ansässigen Burma Human Rights Network (BHRN).
Myanmar habe es versäumt, seine eigenen Gesetze zum Schutz von Minderheiten vor Hetze anzuwenden, heißt es in dem Bericht. „Stattdessen wurden sie benutzt, um die Unterdrückung der Meinungsfreiheit durch das Militär und die Machthaber zu decken.“ Besonders betroffen von Hassreden und Falschinformationen sind demnach die muslimischen Rohingya.
Neben der Hetze gegen Muslime war der Wahlkampf gekennzeichnet von Vorwürfen der Wahlmanipulation durch die Wahlkommission zugunsten der Regierung von Aung San Suu Kyi. Der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für Menschenrechte in Myanmar, Tom Andrews, rief am 2. November Regierung und Armee auf, die „Beschneidung demokratischer Rechte“ im Wahlkampf zu beenden. Die Verweigerung des Wahlrechts auf Basis der Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe oder einer Religion wie im Fall der Rohingya untergrabe das „Lebenselixier der Demokratie“, erklärte Andrews. Weiter kritisierte er die Unterdrückung der Meinungsfreiheit von Regierungs- und Armeekritikern.
Der Urnengang am Sonntag war die dritte Wahl seit Ende der Militärdiktatur. Die erste Wahl 2010 war von der größten Oppositionspartei Nationale Liga für Demokratie (NLD) von Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi boykottiert worden. Bei der Wahl 2015 gewann die NLD die Abstimmung mit einem Erdrutschsieg.
© Text: KNA/Michael Lenz/KNA
Aktualisiert am 16.11.2020: Wahlsieg Aung San Suu Kyi