Mit Solarenergie in die Zukunft
Reportage ‐ Im Argentinischen Hochland errichtet Pater Lucas Galante Solaranlagen und bringt Bauern den Umgang mit der Technik bei. „Die Menschen wollen ihre Heimat nicht verlassen, sie wünschen sich nur ein wenig mehr Lebensqualität“, sagt er. Die Adveniat-Reportage.
Aktualisiert: 07.12.2020
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„Die Menschen wollen ihre Heimat nicht verlassen, sie wünschen sich nur ein wenig mehr Lebensqualität“, sagt Padre Lucas Gabriel Galante. Der Priester errichtet in argentinischen Andendörfern Solaranlagen und bringt den Bauern den Umgang mit der Technik bei, um ihnen eine bessere Zukunft zu ermöglichen.
Kurz nach seinem Schulabschluss verließ Benjamín Condorí sein Heimatdorf San Antonio del Cajón im Nordwesten Argentiniens. Der junge Mann hatte Ambitionen und Träume – aber keine berufliche Zukunft. Also ging er in die Hauptstadt Buenos Aires und arbeitete in einer Bäckerei. Aber das, was er suchte, fand er nicht. „Buenos Aires ist hektisch und gefährlich. Du lebst eingepfercht in vier Wänden“, erzählt der heute 39-Jährige. So oft es ging, besuchte er seine Heimat. Er vermisste seine Familie, die Traditionen und die Natur. Bis er schließlich zurückkehrte, denn eigentlich wollte er nie weg.
San Antonio del Cajón, das Dorf, in dem Benjamín Condorí aufgewachsen ist und in dem er heute wieder lebt, liegt in einem hochgelegenen Tal am Osthang der Anden. Wer hierher kommt, hat eine stundenlange Autofahrt auf staubiger, unebener Piste hinter sich, vorbei an Riesenkakteen und trockenen Flussbetten, die sich zwischen engen Schluchten und atemberaubenden Felsformationen hindurch winden. Eine Fahrt, bei der man sich immer weiter von der Zivilisation entfernt. Das Dorf liegt einsam inmitten einer wunderschönen Landschaft in einer der ärmsten Regionen des Landes. Wie alle Bewohner ist auch Benjamín Condorí Bauer. Er besitzt Ziegen und pflanzt etwas Mais und Kartoffeln an. Die Erde ist steinig und nicht sehr fruchtbar. Es gibt kaum Bäume und somit wenig Holz für den Lehmofen, auf dem das Essen gekocht wird. Das Leben ist hart, aber frei.
Deswegen kehrte Benjamín zurück, und weil er hier Perspektiven schaffen wollte. Aber wie? Die Lösung kam in Form eines jungen Priesters. Padre Lucas Gabriel Galante hat es sich zur Aufgabe gemacht, das Leben der Menschen in den Bergen zu verbessern – durch Solarenergie. Zusammen mit dem damaligen Bischof José Demetrio Jiménez besuchte er die kleine Gemeinde und präsentierte seine Idee: 24 Stunden am Tag genug Strom für Licht, Kühlschrank und Werkzeuge – und erfuhr zunächst Ablehnung. „Niemand glaubte an das Projekt“, erinnert sich der 41-jährige Priester. Denn die Bewohner waren diese Art von Besuchen gewohnt. Besonders kurz vor den Wahlen kommen Politiker den weiten Weg und machen Versprechungen, die sie nie einhalten werden. Ein Priester war jedoch etwas Neues. Benjamín, sehr gläubig und aufgrund seines Engagements zum Dorfvorsteher ernannt, fasste als erster Vertrauen und überzeugte die anderen.
Vor anderthalb Jahren setzte Padre Lucas seine Idee in San Antonio del Cajón in die Tat um. Zuvor hatte bereits ein anderes Dorf in der Region Valle Calchaquí Solarstrom erhalten, ein drittes folgte vor knapp einem halben Jahr. Mit der Hilfe seines älteren Bruders und der Männer des Dorfes errichtete Padre Lucas die Solaranlage, verlegte Kabel und installierte eine Mini-Wasserturbine für Regentage. „Sobald die Technik funktioniert, kommt der Hauptteil des Projekts: das Soziale“, erklärt der Priester. Dann wird im Dorf eine Kommission gegründet, die das Geld verwaltet und sich um die Instandhaltung der Anlage kümmert. Aufgaben und Ämter wie Präsident, Schatzmeister und Techniker werden vergeben. Zu Letzterem wurde Benjamín von Padre Lucas ausgebildet, der ihm weiterhin bei jedem seiner Besuche geduldig erklärt, welche Kabel wofür stehen, wie man prüft, ob Strom darauf ist, und wie die Anlage gewartet und repariert wird. Die Augen des Priesters leuchten, wenn er von Watt und Volt spricht, wenn er Kabel überprüft und Maschinen repariert. Benjamín hängt an seinen Lippen und saugt das Wissen auf. Padre Lucas ist für ihn mehr als ein Priester, er ist Lehrer, Kollege und Freund. Nur vier Mal im Jahr kommt Padre Lucas nach San Antonio del Cajón, um zu sehen, wie sich das Projekt entwickelt, denn das Dorf liegt nicht in seiner Pfarrei. Bald soll es ganz unabhängig von ihm werden – und das Wissen selbstständig weitergeben.
Hoffnung angeknipst
Als Padre Lucas zum ersten Mal in die Region kam, wunderte er sich, warum die Menschen hier keinen Strom hatten – bei rund 340 Sonnentagen im Jahr. Damals war er 27 Jahre alt und noch nicht lange Seminarist bei den Augustinern in Buenos Aires. Sie schickten ihn auf Mission in den Norden, 28 Stunden Busfahrt. Und obwohl alles so anders war – oder gerade darum –, mochte er die karge Region und ihre zurückhaltenden Menschen auf Anhieb. „Ich begann mit meiner Aufgabe und merkte schnell: die Menschen missionierten mich. Durch ihre Prozessionen, Gesänge, Dankbarkeit. Und ich beschloss, von ihnen zu lernen“, erzählt Padre Lucas, der sich schon als Junge in seiner Gemeinde in Jugendgruppen, als Katechist und Pfadfinder engagierte. In den Bergen lernte er, seinen Glauben selbstverständlich in den Alltag zu integrieren. „Alles ist durch Gott verbunden: der Himmel, die Erde, das Wasser, die Tiere und wir.“
Nach sechs Jahren verließ er die Augustiner und wurde Diözesanpriester im Valle Calchaquí, der Region, die sein Herz erobert hatte. Seine ruhige und geduldige Art und sein großes mechanisch-technisches Verständnis machten ihn schnell zu einem gefragten Ansprechpartner. Vor allem Männer stehen täglich mit ihren Geräten, Maschinen oder Motorrädern vor dem kleinen Pfarrhaus in La Puerta, einem ländlichen Ort über 200 Kilometer von San Antonio del Cajón entfernt, um von ihm zu lernen. Als der Priester erfuhr, dass die Menschen in der Region seit zehn Jahren für eine Stromleitung kämpften, war die Idee für das Solarprojekt geboren. Doch zunächst glaubte niemand, dass es gelingen könnte. „Es ist eine Photovoltaik-Inselanlage mit Energiespeicher, die nur die umliegenden Häuser mit Strom versorgt und unabhängig vom öffentlichen Stromnetz ist“, erklärt er. Padre Lucas stammt aus einer Mechanikerfamilie und sein Weg war eigentlich vorbestimmt. Als er sich anders entschied, brach sein Vater den Kontakt ab. Doch seit das Solarprojekt funktioniert, unterstützt ihn die ganze Familie tatkräftig. Das Projekt ist Padre Lucas’ Herzensangelegenheit und die perfekte Kombination seiner Leidenschaften: Glaube, soziales Engagement und Technik. Von Beginn an wurde es vom Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat unterstützt und nur dadurch konnte die erste Solaranlage gebaut werden.
„Nein, eigentlich ist es nicht die Aufgabe der Kirche, sich um die Stromversorgung zu kümmern. Aber dies ist kein rein technisches Projekt, es ist in erster Linie sozial und die Basis von allem ist der Glaube“, erklärt Padre Lucas. „Die Menschen erhalten nicht nur Strom und Licht, sondern auch Hoffnung, Selbstbewusstsein und die Möglichkeit, in ihrer Heimat zu bleiben. Es eröffnen sich ganz neue Perspektiven.“ So können die beiden Tante-Emma-Läden in San Antonio del Cajón die Lebensmittel jetzt länger lagern und damit mehr Waren anbieten, auch handwerkliche Tätigkeiten wie Schreinern, Schweißen oder Backen sind nun einfacher umsetzbar und ermöglichen neue Jobs. Das ist enorm wichtig in einem Land, in dem nach einem Bericht der nationalen Katholischen Universität (UCA) rund 41 Prozent der Bevölkerung in Armut leben, 10 Prozent davon sogar in extremer Armut. Seit 2018 befindet Argentinien sich in einer Rezession. Die Inflation ist mit mehr als 55 Prozent eine der höchsten weltweit. Jeden Monat steigen die Preise. Die Strompreise in San Antonio del Cajón bleiben davon verschont. Eine Familie, die Licht, Fernseher und Kühlschrank benutzt, zahlt umgerechnet rund drei Euro im Monat, wer den Strom nur fürs Licht nutzt, einen Euro. „Das sind nur zehn Prozent von dem, was sie in der Stadt zahlen würden“, erklärt Padre Lucas. Die Menschen sind zufrieden, denn die Kosten sind gering, sie zahlen nur, was sie verbrauchen, und das Geld kommt dem Projekt zugute.
Wenn Padre Lucas nach acht Stunden Autofahrt in der Abenddämmerung aus den Bergen nach San Antonio del Cajón hinunterfährt, sieht er auf den verlassenen Straßen zwischen den 76 Lehmhäusern Lampen in warmem Licht erstrahlen. Hinter einigen Holzfenstern flimmern Fernseher, in den beiden Tante-Emma-Läden brummt jeweils eine Kühltruhe, im Schein nackter Glühbirnen weben Frauen. „Mein Ziel ist es, dass die Menschen auf dem Land bleiben und dort ähnliche Möglichkeiten wie in der Stadt haben“, sagt Padre Lucas, der schon eine neue Idee hat: eine Antenne für Telefonverbindungen, um mit Verwandten in Kontakt zu bleiben und den Krankenwagen rufen zu können. Auch in den einfachen Häusern entstehen nun Träume, von eigenen Werkstätten und Bäckereien – von einer Zukunft auf dem Land.
© Text: Christina Weise