In Südafrika entlädt sich angestaute Wut in Protesten
Kapstadt ‐ Noch am Sonntag war eine Maske die einzige Schutzausrüstung für Südafrikas TV-Reporter. Inzwischen tragen sie kugelsichere Westen und Helme - genau wie die Soldaten in den Straßen. Die Lage am Kap spitzt sich zu.
Aktualisiert: 16.07.2021
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„Tod, Plünderungen und Zerstörung“ - so fasste der Sprecher des südafrikanischen Radiosenders 702 am Dienstagabend das Tagesgeschehen zusammen. Die Kap-Republik brennt - wortwörtlich. Zu Wochenbeginn hatten Demonstranten in etlichen Städten Einkaufszentren und Fahrzeuge in Brand gesteckt. Nun kommt es zu Massenplünderungen. Die Anarchie folgte auf die Inhaftierung des umstrittenen Ex-Präsidenten Jacob Zuma am vergangenen Donnerstag. Dutzende Menschen kamen schon ums Leben.
Südafrika ist ein Land der Kontraste. Das zeigte sich am Dienstag einmal mehr in der Hafenmetropole Durban. Während die einen mit Schutzmaske vor Läden ausharrten, um das Übriggebliebene zu kaufen, brachen andere die Tore zu den Shopping Malls auf und machten sich mit Einkaufswagen voller Bier, Fernseher und Brot davon. Auch in Johannesburg, der Hauptstadt Pretoria und der östlichen Verwaltungsstadt Pietermaritzburg gab es Plünderungen. Die Polizei ging mit Tränengas und Gummigeschossen gegen die brandschatzende Menge vor; seit Montagabend befindet sich auch die Armee in den Straßen. Es gelte, „die Unruhen niederzuschlagen“, hieß es aus der Militärzentrale.
Bereits vor Zumas Festnahme hatten dessen treue Anhänger angekündigt, Südafrika „unregierbar zu machen“. Unter dem Motto „FreeZuma“ mobilisierten sie in Sozialen Medien. In KwaZulu-Natal, dem Epizentrum der Proteste, sitzt der Ex-Staatschef seit sechs Tagen in Haft. Er hatte sich geweigert, vor einer Ermittlerkommission auszusagen, die Korruption in seiner Amtszeit (2009-2018) untersucht. Das Verfassungsgericht verurteilte ihn daraufhin wegen Missachtung der Justiz zu 15 Monaten Gefängnis.
Die Gewalt ist beispiellos für das demokratisch regierte Südafrika. „Es war wie im Krieg“, erzählt ein Arzt in Johannesburg, der Schuss- und Stichwunden versorgte. Mindestens 72 Menschen kamen laut Behördenangaben bislang ums Leben; die Polizei bestätigte mehr als 1.200 Festnahmen. Im Township Soweto wurden zehn Menschen zu Tode getrampelt, als bei einer Plünderung Panik ausbrach.
Sorge herrscht unterdessen um die Gesundheitsversorgung. Die Anarchie kommt zu einer Zeit, in der Südafrika gegen seine dritte Corona-Welle ankämpft. Ärzte berichten, dass sich Sauerstofflieferungen verzögern und Pflegepersonal nicht zur Arbeit erscheint. Ambulanzen wurden mit Steinen beworfen, die Covid-Impfkampagne ist teilweise ausgesetzt. Noch während Präsident Cyril Ramaphosa am Montagabend die Aufstände in einer TV-Ansprache verurteilte, konnten Südafrikaner live beobachten, wie ein Mob in Durban eine Blutbank stürmte und plünderte.
Bischofskonferenz: Leben und Gemeinwohl schützen
„Wir verurteilen aufs stärkste die offensichtlichen Gesetzesbrecher, die die Lage ausnutzen. Wir rufen Personen, die an Vandalismus und Schlägereien beteiligt sind, auf, sich Gedanken über die Existenz vieler Menschen zu machen, die sie durch die Zerstörung ihrer Arbeitsplätze gefährden.“, sagte der Vorsitzende der Südafrikanischen Bischofskonferenz, Bischof Sithembele Sipuka, in der Nacht zu Mittwoch. Zudem rief er die politisch Verantwortlichen dazu auf, das Leben und das Gemeinwohl zu schützen. „Lassen Sie uns weiterhin den Weg des Dialogs wählen, um unsere Differenzen als Brüder und Schwestern beizulegen", so Sipuka.
Tatsächlich rückt die politische Dimension des Aufruhrs zusehends in den Hintergrund: Die Wut richtet sich vermehrt gegen die prekären Lebensverhältnisse in dem Schwellenstaat. Südafrika gilt als Land mit der ungerechtesten Einkommensverteilung der Welt. Während der Pandemie verloren mehr als zwei Millionen Südafrikaner ihre Jobs. Am Sonntag kündigte Ramaphosa eine Verlängerung der Ausgangs- und Handelsbeschränkungen an.
„Wir können Armut, Ausgrenzung, Ungleichheit und die resultierende Gewalt nur brechen, wenn unsere Kinder ihr volles Potenzial entfalten“, sagt Steve Miller, Geschäftsführer von Save the Children Südafrika. Wie die Dinge derzeit stünden, bleibe dies eine Illusion. Das Hilfswerk verurteilt den Tod eines 15-Jährigen während der Proteste.
Besorgt über Hunger und ein „historisches Maß an Ungleichheit“ ist auch der Christenrat von KwaZulu-Natal. In einem von Kardinal Wilfrid Napier unterzeichneten Brief erklärten die Kirchenführer: „Es ist nicht bloß unmoralisch, diese Realität zu ignorieren; es bereitet auch den Nährboden für Unruhen.“ Es brauche Lösungen für jene 55 Prozent der Südafrikaner, die 27 Jahre nach Anbruch der Demokratie immer noch in Armut leben. Auch die katholischen Bischöfe forderten eine „Rückkehr zu einer effizienten Regierungsführung“, die den Menschen diene.
Von Markus Schönherr (KNA)
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