Rechtsextreme Gewalt in Kolumbien im Fokus der Sondergerichtsbarkeit

Rechtsextreme Gewalt in Kolumbien im Fokus der Sondergerichtsbarkeit

Bogotá ‐ In Kolumbien kommt die juristische Aufarbeitung rechtsextremer Gewalt während des bewaffneten Konflikts nur langsam voran. Der sogenannten Sonderjustiz gelang nun ein wichtiger Schritt im Skandal um „falsos positivos“.

Erstellt: 22.07.2021
Aktualisiert: 22.07.2021
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In Kolumbien kommt die juristische Aufarbeitung rechtsextremer Gewalt während des bewaffneten Konflikts nur langsam voran. Der sogenannten Sonderjustiz gelang nun ein wichtiger Schritt im Skandal um „falsos positivos“.

Die juristische Aufarbeitung des Skandals um die „falsos positivos“ (gefälschten Beweise) in Kolumbien ist eine Seite; die politische Übernahme von Verantwortung die zweite, vielleicht viel entscheidendere Frage der Causa. Erst vor wenigen Wochen hatte der Vorsitzende der kolumbianischen Wahrheitskommission, Jesuiten-Pater Francisco de Roux, den rechtsgerichteten Ex-Präsidenten Alvaro Uribe zu einer Entschuldigung für die während seiner Amtszeit vorgefallene Praxis der „falsos positivos“ aufgefordert. Das müsse aber freiwillig geschehen. „Wir können niemanden zwingen, wir sind keine Richter“, sagte de Roux laut der Zeitung „El Espectador“. Uribe lehnt das bislang ab.

Der als „falsos positivos“ in die kolumbianische Geschichte eingegangene Skandal bezeichnet die einstige Praxis der Militärs, unschuldige Zivilisten zu töten und sie anschließend als Guerilleros auszugeben, um Prämien für im Kampf gegen die Guerilla errungene Erfolge zu erhalten. Die „Sondergerichtsbarkeit für den Frieden“ (JEP) ist eine Institution, die aus dem 2016 geschlossenen Friedensvertrag zwischen der FARC und der Regierung hervorgegangenen ist, die den jahrzehntelangen Bürgerkrieg zwischen der Terrororganisation und dem Staat beendete.

Tote Zivilisten als angebliche Guerrillakämpfer präsentiert

Jüngst hatte die JEP einen ersten Beschluss gefasst und erste Militärs wegen federführender Beteiligung an den Morden und Entführungen von mindestens 120 am Konflikt unbeteiligten Zivilisten in Catatumbo in der Provinz Norte de Santander als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingestuft. Die getöteten Zivilisten waren vom Militär zwischen Januar 2007 und August 2008 als im Kampfeinsatz gefallene Guerillakämpfer ausgewiesen worden, um so die offiziellen Erfolgsquoten und -zahlen des Militärs zur Bekämpfung der Guerilla aufzubessern - und Prämien zu kassieren.

„Der Beschluss ist der erste von voraussichtlich neun weiteren, in dem einzeln aufgeführten (Ex-)Militärs konkret Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen in Zusammenhang mit dem sogenannten 'falsos positivos' zur Last gelegt werden“, erklärt Marie-Christin Fuchs, Leiterin des Rechtsstaatsprogramms Lateinamerika der Konrad-Adenauer-Stiftung in Bogota. Bereits einige Wochen zuvor habe die JEP bekanntgegeben, dass zwischen 2002 und 2008 mindestens 6.042 Personen – zumeist junge Männer zwischen 25 und 35 Jahren – als sogenannte „falsos positivos“ ermordet wurden, so die Mitherausgeberin des Rechtsstaats-Blogs @A_EstadoDerecho.

Demonstranten fordern Aufklärung

Mit dem Beschluss schließt die JEP die Auswertung der ihr etwa aus Opferaussagen vorliegenden Informationen ab und stuft die Taten vorläufig strafrechtlich ein. Sie legt zum Beispiel fest, dass die Straftaten nach nationalem und internationalem Strafrecht zu bewerten sind. Es handelt sich allerdings noch nicht um eine abschließende strafrechtliche Verurteilung.

Die Täter können nun die aufgeführten Taten und deren strafrechtliche Einordnung entweder akzeptieren; dann würde die JEP eine Anerkennungssitzung anberaumen, bei der die Opfer anwesend sind. Sollten die Militärs nicht anerkennen und an der vollständigen Aufklärung der Wahrheit mitwirken, würde das Verfahren an die Ermittlungseinheit der JEP übergeben. Es würde ein Strafverfahren wie jedes andere eingeleitet, das mit einer strafrechtlichen Beweisführung und dann einem Strafurteil endet. Die Militärs können auch nur teilweise gestehen und mitwirken; dann gilt für den zugestandenen Teil die erste, für den nicht zugestandenen die zweite Variante.

Die Aufarbeitung des Skandals ist eine der zentralen Forderungen zahlreicher Demonstranten. Die Proteste in Kolumbien dauern seit Wochen an.

Von Tobias Käufer (KNA)

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