Halbzeit bei der Weltklimakonferenz in Glasgow

Halbzeit bei der Weltklimakonferenz in Glasgow

Bewahrung der Schöpfung ‐ Verhandlungen bis tief in die Nacht, täglich neue Studien und Vereinbarungen; Klimaschützer demonstrieren, Medien malen Untergangsszenarien. Weltklimakonferenzen bleiben schwer zu fassende Ereignisse.

Erstellt: 05.11.2021
Aktualisiert: 05.10.2022
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Eigentlich ist die Sache simpel. Auf der Erde wird es seit bald 200 Jahren wärmer und wärmer. Polkappen schmelzen, der Meeresspiegel steigt, Dürren und Unwetter nehmen zu. Schuld an alledem ist vor allem die Menge an Kohlenstoffdioxid und anderen klimaschädlichen Gasen, die die Menschheit vermehrt seit den Tagen der Industrialisierung in die Luft bläst. Auf der Weltklimakonferenz in Paris hat sich die Staatengemeinschaft 2015 deswegen im Grundsatz darauf geeinigt, den CO2-Ausstoß so zu begrenzen, dass die globale Durchschnittstemperatur im Vergleich zum vorindustriellen Niveau auf maximal 2 Grad - besser 1,5 Grad - ansteigt.

Ab da wird es schnell kompliziert. Wie bekommt man Staaten dazu, dass die von ihnen festzulegenden Klimaziele ehrgeiziger ausfallen, und wie lassen sich diese „Nationally Determined Contributions“ (NDC) überprüfen und fortschreiben? Müssen sich die Industrieländer an den Kosten für jetzt schon durch den Klimawandel entstandene Verluste und Schäden beteiligen? Und wer hilft den ärmeren Ländern, die selbst nichts zur Klimakrise beigetragen haben, sich an veränderte Umweltbedingungen anzupassen?

Das sind nur einige jener Fragen, die den mehr als 20.000 Teilnehmern der laufenden Weltklimakonferenz in Glasgow Kopfzerbrechen bereiten. Das 1,5-Grad-Ziel wird wohl auch diesmal nicht erreicht, wie EU-Unterhändler Jacob Werksman zur Halbzeit des Treffens einräumt. „Wenn die jetzt vorliegenden Zusagen eingehalten werden, landen wir bei 2,7 Grad“ sagt Anika Schroeder, Klima-Expertin von Misereor. Trotzdem sehen sowohl der Politiker wie die Vertreterin der Hilfsorganisation Anlass zu Hoffnung.

„Es ist ein bisschen zu früh, um zu sagen, ob die Konferenz ein voller Erfolg wird, aber die ersten Anzeichen scheinen einigermaßen gut“, lautete die Zwischenbilanz von Werksman. An den viel zu geringen Klimaschutzzielen werden indes auch die kommenden Verhandlungstage nach Einschätzung von Schroeder nichts ändern. Die Staaten müssten zu Hause nachbessern. „Ohne Druck aus der Gesellschaft wird das nichts“, sagt sie. Aber sie nennt auch kleine Durchbrüche. So habe Indien angekündigt, bis 2070 klimaneutral werden zu wollen. „Das reicht noch nicht“, sagt Schroeder. Aber allein die Tatsache, dass Indien überhaupt eine Selbstverpflichtung vorlegt, wertet sie als Fortschritt.

Lange habe sich das bevölkerungsreiche Land, das bei nach wie vor sehr geringen Pro-Kopf-Emissionen und Energiearmut zu den größten CO2-Emittenten der Gegenwart gehört, diesem Ansinnen verweigert, erläutert die Klima-Expertin. Die bisherige Argumentation Indiens: Wir leisten unseren Beitrag, aber ohne internationale Verpflichtung. Erst müssten die westlichen Industriestaaten in Vorleistung treten. Diese seien in der Vergangenheit die Hauptverantwortlichen für die Misere gewesen. Offenbar ist in Glasgow Bewegung in die Sache gekommen.

Schroeder nennt ein weiteres Beispiel: Schottlands Ankündigung, den ärmeren Staaten eine Million britischer Pfund (1,2 Millionen Euro) für den Ausgleich von Schäden und Verlusten durch den Klimawandel zur Verfügung zu stellen. Peanuts, aber politisch ein Durchbruch, der aus Angst der westlichen Länder, eines Tages für ihre Klimasünden auch gerichtlich zur Rechenschaft gezogen werden zu können, bisher unmöglich schien. Mit dem Vorstoß Schottlands gerät diese Front nun ins Wanken.

Davon zu unterscheiden sind die von den Industrieländern versprochenen jährlichen 100 Milliarden US-Dollar, die finanzschwachen Staaten bei der künftigen Anpassung an den Klimawandel helfen und den Klimaschutz voran bringen sollen. Ursprünglich sollte der Topf bis 2020 gefüllt sein. Das ist nahezu erreicht, aber die nötige Aufstockung der Mittel und die Zusagen ab 2023 sind noch völlig offen.

EU-Unterhändler Werksman sieht die Sache trotzdem auf einem guten Weg. Kritiker, zu denen auch Kirchenvertreter wie der Leiter des Katholischen Büros in Berlin, Karl Jüsten, gehören, warnen dagegen vor einem grundsätzlichen Konstruktionsfehler: „Es ist skandalös, dass reiche Staaten den armen Staaten Geld zur Klimaschutzfinanzierung häufig nur als Kredit bereitstellen.“ 

Freifahrtschein für eine Abholzung in den kommenden Jahren?

Genau hinzusehen lohnt sich auch bei den vielen Initiativen die beinahe im Stundentakt in Glasgow der Öffentlichkeit präsentiert werden. Dass 100 Staaten die Entwaldung bis 2030 stoppen wollen, kritisieren Umweltschützer und Hilfsorganisationen wie Misereor als eine Neuauflage eines schon 2014 gegebenen Versprechens – und als Freifahrtschein für eine Abholzung in den kommenden Jahren. Mehr Zustimmung findet das Ansinnen einer Gruppe von Staaten, öffentliche Gelder nicht mehr in die klimaschädlichen fossilen Energien im Ausland zu stecken.

Bis Freitag kommender Woche werden sie in Glasgow weiter verhandeln und feilschen. Die Staatschefs hatten traditionell zu Beginn der Konferenz ihren Auftritt. Dass Papst Franziskus nicht dabei war, bedauert Misereor-Vertreterin Schroeder. „Es wäre ein starkes Signal gerade an katholische Länder sowie Katholiken und Katholikinnen weltweit gewesen.“

Unterdessen läuft die Zeit. Wie das Global Carbon Project mitteilte, ist das der Menschheit zur Verfügung stehende CO2-Budget auf 420 Milliarden Tonnen geschrumpft, wenn zumindest noch eine 50-prozentige Chance bestehen bleiben soll, das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. Bei dem für 2021 errechneten Verbrauch wäre dieses Budget in 11 Jahren aufgebraucht. 

Von Joachim Heinz (KNA)

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