Gesund werden – gesund bleiben im Orthopädischen Trainingszentrum in Ghana
Ghana ‐ Heute hält Blessing nichts mehr auf - obwohl sie ohne Beine und mit einem Arm geboren und von den Eltern verstoßen wurde. Eine Hebamme adoptierte das Mädchen und brachte es mit zwei Jahren erstmals zur Behandlung ins Orthopädische Trainingszentrum (OTC) nach Nsawam, rund vierzig Kilometer nördlich der ghanaischen Hauptstad Accra.
Aktualisiert: 19.11.2021
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„Als Blessing ihre ersten Beinprothesen bekommen hat, ist sie überall rumgeflitzt, wie ein kleiner Wirbelwind“, erzählt Schwester Elizabeth Newman und lacht. Blessing wurde ohne Beine und mit einem Arm geboren. Die Eltern verstießen ihre Tochter wegen der Behinderung. Eine Hebamme adoptierte das Mädchen und brachte Blessing mit zwei Jahren erstmals zur Behandlung ins Orthopädische Trainingszentrum (OTC) nach Nsawam, rund vierzig Kilometer nördlich der ghanaischen Hauptstad Accra. Ins OTC kommen Menschen aus ganz Ghana und aus den Nachbarländern.
„Unser ganzheitliches Konzept ist einzigartig“, sagt Schwester Elizabeth. Die Kinder bekommen die Hilfe, die sie für ein selbständiges Leben brauchen – Prothesen und Therapie, aber auch Bildung und vor allem Liebe. „Alle Kinder sind Geschenke Gottes“, steht in großen Lettern auf dem Sockel einer Skulptur vor dem Zentrum, das 1961 von einem Steyler Missionar aus den Niederlanden gegründet wurde. Heute führt die amerikanische Ordensschwester mit einem Team aus 81 einheimischen Mitarbeitern und Spezialisten seine Arbeit fort. Sie selbst kam 1974 als Lehrerin ins Projekt. „Mir ist die Bildung der Kinder sehr wichtig“, sagt Schwester Elizabeth. „Sie sollen später die Möglichkeit haben, zu studieren. Sie sind klug und können so beweisen, dass sie es zu etwas bringen und einen Weg aus der Armut finden – trotz ihrer Behinderung.“ Neben Therapie und Bildung ist auch Zeit für Spiel und Spaß: Die Kinder lernen schwimmen, toben beim Fußballspiel durch den Garten oder lernen, Perlenschmuck herzustellen. Neben Geburtstagsfeiern organisiert das OTC-Team außerdem Ausflüge und ab und zu auch eine Pyjamaparty.
„Meine Freundinnen sind Gifty, Eva und Princess“, zählt Blessing auf. „Wir teilen uns ein Zimmer, essen und spielen zusammen. Außerdem helfen wir uns gegenseitig, zum Beispiel beim Anziehen.“ Vor einigen Tagen hat ihre Adoptivmutter die heute Zehnjährige erneut ins Zentrum gebracht, damit ihre Beinprothesen angepasst werden. Das OTC unterhält eine eigene orthopädische Werkstatt mit 35 Mitarbeitern. Sie stellen Prothesen, Schienen, orthopädische Schuhe und andere Hilfsmittel her. Im hauseigenen OTC-College beginnen jährlich 30 bis 40 junge Männer und Frauen aus ganz Ghana ihre Ausbildung zum Orthopädietechniker. Die besten Absolventen arbeiten später im OTC weiter. Manche von ihnen wurden früher selbst hier behandelt. Sie möchten nun andere Menschen mit Behinderungen unterstützen.
Corona-Situation als Herausforderung
Bis ihre neuen Prothesen angepasst sind und sie sicher damit gehen können, wohnen Blessing und die anderen Kinder im Zentrum. Je nach Behandlung bleiben sie zwischen sechs Wochen und sechs Monaten. Derzeit leben 15 Kinder im OTC, die jüngsten zusammen mit ihren Müttern. „Ohne Corona wären es 40 bis 50 Kinder“, sagt Schwester Elizabeth. Auch notwendige operative Eingriffe können derzeit nicht stattfinden, weil der niederländische Facharzt nicht einreisen kann. Im vergangenen Jahr wurden im OTC rund 6.000 Kinder orthopädisch behandelt: Sie bekamen Prothesen und Physiotherapie, lernten unter professioneller Anleitung Laufen, Sitzen und Rollstuhlfahren. 2019, vor der Corona-Pandemie, waren es rund 7.000 Jungen und Mädchen.
Das OTC-Team behandelt Patienten auch ambulant. Mehr als die Hälfte sind Kinder. „Normalerweise haben wir nur montags Sprechstunde“, sagt Statistikerin Edna Agboka, „aber Kinder nehmen wir immer auf, selbst in der Mittagspause. Sie haben oberste Priorität!“ Zwei Orthopädietechniker sind mehrmals im Jahr mit einer mobilen Klinik im ganzen Land unterwegs, um auch Menschen in entlegenen Regionen zu erreichen. Rund 7.500 Kilometer haben sie im Jahr 2020 zurückgelegt und 796 Patienten behandelt. Vor der Corona-Pandemie waren es mehr als doppelt so viele. Die Leistungen des OTC sind günstig, trotzdem können manche Eltern sie sich nicht leisten. „Dann behandeln wir kostenlos. Wir schicken kein Kind weg, wenn das Geld für die Behandlung fehlt“, sagt Edna Agboka mit Nachdruck. Für viele der Patienten ist das OTC weit mehr als eine Orthopädie-Einrichtung. Es ist auch ein Zuhause, eine Familie geworden – oder, um es mit Blessings Namen auszudrücken: ein Segen.
Von Susanne Dietmann
© Kindermissionswerk