Adveniat-Chef Maier zur zweiten Weihnachtsaktion in der Corona-Zeit

Adveniat-Chef Maier zur zweiten Weihnachtsaktion in der Corona-Zeit

Essen ‐ Die Hoffnung war groß, dass diesmal wieder mehr möglich sein könnte. Doch Corona macht der Weihnachtsaktion des katholischen Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat erneut einen Strich durch die Rechnung. Was das bedeutet und warum er mit Blick auf die Weihnachtskollekte trotzdem optimistisch ist, erläutert der Adveniat-Chef Martin Maier im Interview.

Erstellt: 23.12.2021
Aktualisiert: 21.12.2021
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Die Hoffnung war groß, dass diesmal wieder mehr möglich sein könnte. Doch Corona machte der Weihnachtsaktion des katholischen Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat erneut einen Strich durch die Rechnung. Was das bedeutet und warum er trotzdem optimistisch ist, was die Kollekte an Weihnachten angeht, erläutert der neue Hauptgeschäftsführer Martin Maier im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).

Frage: Pater Maier, mit der Kollekte an Weihnachten endet die aktuelle Adveniat-Weihnachtsaktion unter dem Motto: „ÜberLeben in der Stadt“. Warum haben Sie dieses Thema gewählt?

Maier: Zuerst einmal leben inzwischen 8 von 10 Menschen in Lateinamerika in den Städten. Die Migration in die Städte nimmt kein Ende – einmal auf Grund von Krieg, Gewalt und Klimaveränderungen. Und wegen der schwierigen Lebenssituationen in den ländlichen Regionen. Die Menschen hoffen, dass sie in den Städten besser leben können, aber das bleibt bei fast allen eine Illusion.

Frage: Wo liegen die Hauptprobleme?

Maier: An den immer weiter wachsenden Rändern der Städte wachsen die Armenviertel und werden zu Brutstätten der Gewalt. Dazu kommen das Drogenproblem, das wie ein Krebsgeschwür die Städte Lateinamerikas befallen hat, und die Jugendbanden, die für Unsicherheit sorgen. Von daher geht es wirklich ums nackte Überleben in den Städten. Außerdem gibt es noch die Flüchtlinge aus Ländern wie Venezuela oder Haiti, aus denen die Menschen auch wegen der politischen Verhältnisse fliehen müssen. Auch sie stranden oft in den Elendsvierteln der Städte.

Frage: Und wenn Sie den Menschen sagen würden, dass es ihnen vermutlich in der Stadt nicht besser gehen wird...

Maier: Da hört keiner drauf. Wenn es auf dem Land schon so schlimm ist, dann treibt es die Menschen einfach auf die Flucht.

Frage: Wie können Sie dann helfen?

Maier: Ganz konkret über die Netzwerke der katholischen Kirche, die dort bestehen. Für die Flüchtlinge zum Beispiel gibt es kirchliche Häuser, wo sie zumindest mal für ein paar Nächte unterkommen können und unterstützt werden. Ganz wichtig ist die Arbeit unzähliger Ordensfrauen in den Armenvierteln – die sind oft „nicht nur die Hände, sondern auch das Herz der Kirche“, wie unser Projektpartner, Erzbischof Leonardo Steiner aus der brasilianischen Amazonas-Metropole Manaus, immer sagt. Sie sorgen erst einmal für die ganz grundlegenden Dinge zum Überleben wie Essen, Kleidung, Medizin oder für einen Platz zum Schlafen, an dem man keine Angst haben muss, in der Nacht umgebracht zu werden.

Frage: Das hilft aber nur kurzfristig.

Maier: Genau, deshalb geht die Arbeit auch viel weiter: Um die Verhältnisse längerfristig zu verbessern, ist tatsächlich Bildung ein ganz wichtiger Schlüssel. Eine chinesische Weisheit sagt: Wenn du ein Jahr Zeit hast, einem Volk zu helfen, dann säe Reis, wenn du 10 Jahre Zeit hast, pflanze einen Baum, wenn du 100 Jahre Zeit hast, erziehe das Volk. Und daran orientieren sich unsere Projektpartner.

Frage: Wie zum Beispiel?

Maier: Etwa über ein lateinamerikaweites Schulwerk. „Fe y alegria“ – „Glaube und Freude“ – heißt das. Das sind Schulen in den Elendsvierteln. „Wir fangen an, wo der Asphalt aufhört“, heißt es dort oft. Dort können auch Kinder aus armen Familien Schulbildung bekommen und dadurch hoffentlich längerfristig einen Ausweg aus dem Elend heraus finden.

Frage: Oft ist zu hören, dass die evangelikalen Pfingstkirchen gerade in den Elendsvierteln besonders aktiv sind. Beobachten Sie das auch?

Maier: Lateinamerikaweit gibt es seit vielen Jahren eine Abwanderungsbewegung von der katholischen Kirche weg hin zu den Pfingstkirchen. Da muss sich die katholische Kirche auch selbstkritisch fragen, was die Menschen dort finden und bei uns nicht. Zum Beispiel eine größere Beteiligung von Laien. Umgekehrt formuliert: ein Problem auch in der Kirche Lateinamerikas ist der Klerikalismus. Das wurde auch gerade bei einer wichtigen kirchlichen Versammlung für Lateinamerika so benannt. Auf der anderen Seite müssen wir auch den Dialog mit den Pfingstkirchen suchen – vor allem im Sinne der Menschen vor Ort.

Frage: Wie sehr verschärft Corona die Probleme?

Maier: Die Pandemie wirkt in Lateinamerika wie ein Brandbeschleuniger für Hunger und Armut. Nach den letzten Zahlen der UNO sind seit 2019 rund 22 Millionen Menschen mehr in die Armut abgerutscht, 267 Millionen Menschen in Lateinamerika leiden Hunger. Ich möchte auch in dem Zusammenhang die Frage der Impfgerechtigkeit ansprechen. Adveniat setzt sich mit anderen Hilfsorganisationen dafür ein, dass die Patente auf die Impfstoffe freigegeben werden. Entweder wir kommen alle aus dieser Pandemie heraus oder wir werden es nicht schaffen, sie zu überwinden. Weltweit gesehen gibt es da immer noch eine große Schieflage.

Frage: Und wie sehr trifft die Pandemie Ihre aktuelle Aktion?

Maier: Wie im letzten Jahr schon leider wieder sehr stark. Viele Aktionen vor Ort mussten ausfallen, Gäste aus den Partnerprojekten in Lateinamerika konnten nicht kommen. Und wir befürchten auch, dass die Pandemie wieder die Weihnachtsgottesdienste nur sehr eingeschränkt möglich machen wird. Die Kollekten dort sind ja eigentlich unsere Haupteinnahmequelle. Wir hoffen aber, dass diejenigen, die bisher für Adveniat gespendet haben, auch andere Wege finden und wahrnehmen. Wir möchten unseren Spendentüten Beine machen, sage ich immer. Man kann über das Internet spenden oder überweisen oder Spenden in den Pfarreien abgeben. Ich kann nur appellieren: Bitte helfen sie uns, dass wir in Lateinamerika weiter helfen können über unsere Partner und Partnerinnen vor Ort.

Frage: Corona ist das eine, dazu steckt die Kirche in Deutschland in einer tiefen Krise. Beeinträchtigt das auch Ihre Arbeit?

Maier: Adveniat und die anderen Hilfswerke leiden natürlich unter der Krise der Kirche. Die schlechte Lage ist vor allem eine Vertrauenskrise: Ich überlasse mein Geld nur jemandem, dem ich mein Vertrauen schenke, weil ich dann gewiss sein kann, dass er gut damit umgeht. Aber ich kann allen Spenderinnen und Spendern versichern, dass das bei Adveniat in Kooperation mit den Partnereinrichtungen vor Ort auch geschieht und dass dies auch regelmäßig genau überprüft wird.

Die Fragen stellte Gottfried Bohl (KNA)

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