Bangladesch und Philippinen im Zentrum der Misereor-Fastenaktion
Freiburg ‐ Staaten wie Bangladesch und die Philippinen haben dramatisch an den Folgen des Klimawandels zu tragen. Doch sie wollen selbst Abhilfe schaffen. Statt „Spenden“ fordern sie von den Hauptverursachern „Kompensation“.
Aktualisiert: 22.06.2022
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Staaten wie Bangladesch und die Philippinen haben dramatisch an den Folgen des Klimawandels zu tragen. Doch sie wollen selbst Abhilfe schaffen. Statt „Spenden“ fordern sie von den Hauptverursachern „Kompensation“. Im Rahmen der Jahresaktion unter dem Motto Es geht anders! Gerecht. gibt Misereor den Betroffenen die Möglichkeit, ihre Anliegen in Deutschland hörbar zu machen.
Bei der Erinnerung an den Unfall kommen Maria Stella die Tränen. Ihr Mann fuhr sie per Mofa zur Arbeit, als vor ihnen ein Lkw in ein Auto krachte. Seitdem kommt sie nicht mehr zu ihrer Arbeitsstelle auf dem Tabunok Public Market im philippinischen Cebu-City: „Ich habe zu viel Angst auf den gefährlichen Straßen“, klagt die schmale Frau im lilafarbenen T-Shirt. Und eine Alternative zum Mofa hat sie nicht.
Dabei ist ihr Verdienst wichtig, um die Familie mit den fünf Kindern durchzubringen. Abhilfe wird es wohl erst 2023 geben. Dann soll das Schnellbussystem in Cebu-City in Betrieb gehen – angestoßen von dem philippinischen Projekt Pagtambayayong, und unterstützt vom deutschen Entwicklungshilfswerk Misereor.
Das Busprojekt, das vor allem ärmeren Menschen sichere und auch klimafreundlichere Mobilität bieten soll, ist eines der Beispiele, die Misereor in der Fastenaktion 2022 unter dem Motto „Es geht! Gerecht.“ vorstellt. Im Zentrum stehen diesmal Bangladesch und die Philippinen.
Die Herausforderungen ähneln sich: Durch den Klimawandel, den vor allem die Länder des globalen Nordens verursacht haben, verlieren die Menschen im globalen Süden ihre Lebensgrundlage. Aufgrund von Dürren oder auch Überschwemmungen ist eine Landwirtschaft nicht mehr zuverlässig möglich; Kleinbauern geben auf und ziehen in die Städte – ohne gesichertes Einkommen, sozialen Status und Unterkunft. Die Folge: Armenviertel und Slums entstehen, prekäre Beschäftigung und Arbeitslosigkeit sind immens.
Vor allem Bangladesch wird aufgrund des steigenden Meeresspiegels bedeutende Teile seiner Landfläche verlieren. Und die Bevölkerungsdichte liegt schon jetzt bei mehr als 1.200 Einwohnern pro Quadratkilometer. Soziale Konflikte und Nahrungsmittelknappheit sind die absehbaren Folgen.
Dabei könnte vieles so einfach sein, wie etwa das Misereor-Projekt BARCIK in Bangladesch zeigt. Es vermittelt Menschen in Armenvierteln der Hauptstadt Dhaka Informationen, ihr Leben zu verbessern: etwa mit Dach-Bepflanzungen, die selbst auf Hütten mit Plastikplanen funktionieren. Der Anbau von Bohnen oder Gurken hält Hitze, Kälte und Regen besser ab, sorgt für gesunde und preisgünstige Nahrungsmittel, die die Menschen sogar verkaufen können. Das gewonnene Saatgut können sie mit den Nachbarn tauschen.
Oder das Misereor-Partnerprojekt IDIS auf den Philippinen: In Davao organisiert es gemeinsam mit der Regierung und anderen Playern eine Sanierung des Flussufers. Um Bodenerosion und Überschwemmungen infolge des Klimawandels zu verhindern, wurde das Ufer mit Steinwänden sowie der Pflanzung von Baumreihen verstärkt.
Für diese und andere Projekte sammelt Misereor bei seiner Fastenaktion, die am 6. März in Freiburg eröffnet wird. Kein leichtes Unterfangen in Zeiten, in denen die katholische Kirche hierzulande vorwiegend negativ wahrgenommen wird, weiß der Freiburger Erzbischof und Misereor-Beauftragte Stephan Burger. „Wir erleben diesen gesellschaftlichen Verlust nicht erst seit den letzten Monaten, sondern schon über Jahrzehnte hinweg“, sagt Burger. Doch gehe es Misereor und seinen Partnern um wichtige Fragestellungen, die dringend wachgehalten werden müssten.
Die Partner im globalen Süden verlassen sich darauf. Aber: „Das sollte man nicht Unterstützung nennen, sondern Kompensierung für die Ungerechtigkeit, die von den Hauptverschmutzern bei uns verursacht wird.“ Mit diesen Worten dringt Bimbo Fernandez, Gründer von Pagtambayayong, auf korrektes Vokabular. Auf globaler Ebene sei es dasselbe: USA und China leisteten „Hilfszahlungen“, aber auch hier gehe es doch um die Kompensierung von Schäden. „Die richtigen Begriffe führen uns vielleicht in die richtige Richtung.“
Dem Leiter des Projektes Barcik in Bangladesch, Pavel Partha, geht es um Handeln auf Augenhöhe: „Nach unserer Erfahrung ist Misereor nicht ein Spender, es gibt keine Hierarchie von oben nach unten, sondern wir arbeiten zusammen wie in einer Partnerschaft.“ An die Menschen in Deutschland appelliert er: „Sie müssen mehr ihre Stimme erheben für die Menschen im globalen Süden, die besonders gefährdet sind von dem, was im Norden an Luxus ausgelebt wird.“
Hier sind die berühmten dicken Bretter zu bohren, wie Misereor-Hauptgeschäftsführer Pirmin Spiegel am Beispiel Individualverkehr belegt: „In Europa wird ein Auto im Schnitt zu 92 Prozent nicht genutzt. 50 Prozent der Fläche in den Städten sind mit Straßen, Parkplätzen und Tankstellen zugebaut“, erklärt Spiegel. „Wir sind an diesen Fragen dran, es gibt aber sehr viele Lobbyisten in Brüssel und Berlin zugunsten des Autos“.
Von Sabine Kleyboldt (KNA)
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