Der Nil ist Ägyptens Lebensader. Doch was passiert, wenn sie gekappt wird? Die Regierung in Kairo fürchtet ausgetrocknete Felder und Wassernot. Auslöser dieser Katastrophe wäre aber nicht der Klimawandel, sondern ein Jahrhundert-Bauprojekt in Ostafrika. Geht es nach der äthiopischen Regierung, könnte Ägyptens Albtraum bald Realität werden.
Mit 74 Milliarden Kubikmetern aufgestauten Wassers wäre die „Grand Ethiopian Renaissance“-Talsperre der größte Damm Afrikas. Seit knapp zehn Jahren bauen die Äthiopier an dem vier Milliarden Euro teuren Megaprojekt. Nun, da die Staumauer zu drei Vierteln fertiggestellt ist, wollen die Verantwortlichen in Addis Abeba im Juli beginnen, den Blauen Nil in dem gigantischen Becken aufzustauen.
Doch für das zweitbevölkerungsreichste Land des Kontinents ist GERD, so die offizielle Abkürzung, mehr als nur ein Damm und Kraftwerk. Die Talsperre soll der Region Entwicklung bringen. Derzeit sind nur 45 Prozent der Äthiopier ans Stromnetz angeschlossen. Durch die Verdoppelung der Stromproduktion aus Wasserkraft könnte Äthiopien das UN-Entwicklungsziel von „moderner und leistbarer Energie“ erreichen. „Die Ägypter haben besseren Zugang zu Strom als wir. Unseren Studenten und Haushalten fehlt dieser Zugang“, zitiert das Nachrichtenportal FanaBC den äthiopischen Kardinal Berhaneyesus Souraphiel. Niemand wolle damit anderen Nil-Staaten schaden.
„In dem Moment, in dem das Projekt angekündigt wurde, erfüllte es die Äthiopier mit Stolz. Millionen von ihnen beteiligten sich daran durch den Kauf von Anleihen“, berichtet der sudanesische Journalist Yaseen Mohmad Abdalla. Gar nicht begeistert sind Äthiopiens Nachbarn Sudan und Ägypten. Die beiden Länder durchfließt der Nil auf seinem Weg ins Mittelmeer.
Berechnungen haben ergeben, dass Ägypten 14 Prozent des Nilwassers und 18 Prozent seines Agrarlands verlöre, wenn Äthiopien den See binnen zehn Jahren aufstaute. Bei einer Stauzeit von sieben Jahren, wie sie die Regierung von Ministerpräsident Abiy Ahmed anstrebt, würde Ägypten sogar 22 Prozent des Nilwassers und etwa 30 Prozent seines fruchtbaren Bodens einbüßen. Das wäre nach Ansicht ägyptischer Politiker ein Desaster. Entsprechend groß ist der Zorn in Kairo.