Bis vor kurzem gehörte Äthiopien der berüchtigten Liga von Afrikas repressiven Polizeistaaten an: Proteste wurden im Tränengas erstickt, Journalisten und Oppositionspolitiker verhaftet, Informationen unterdrückt. Der Wandel kam mit Abiy Ahmed fast über Nacht. In seinem ersten Amtsmonat entließ er Tausende politische Häftlinge und startete Gespräche mit Kritikern, die seine Vorgänger wie „Terroristen“ behandelten. Er reformierte die Justiz, hob die Blockade von Websites und Fernsehsendern auf und besetzte die Hälfte seiner neuen Regierung mit Frauen.
Als größten Erfolg werten Beobachter freilich den Friedensschluss mit Eritrea. Noch vor zwei Jahren knallten an der Grenze zwischen den beiden Ländern die Maschinengewehre, als sich die Truppen gegenüberstanden. Bewohner in der Region fühlten sich an den erbitterten Grenzkrieg zwischen 1998 und 2000 erinnert. Damals starben 80.000 Menschen. Vor einem Jahr dann gab es erneut ein Großaufgebot an Soldaten entlang des Grenzzauns. Diesmal waren die Uniformierten jedoch stille Beobachter, als ihre politischen Befehlshaber bei einer Zeremonie nach 20 Jahren erstmalig wieder die Grenze öffneten. Die Unesco lobte Abiy als einen „Agenten des Wandels und Reformer“.
Allerdings stößt Äthiopiens politischer Neuanfang auch auf Schwierigkeiten. Das wurde einmal mehr vor knapp vier Monaten deutlich, als Putschisten versuchten, die Regierung in der nördlichen Region Amhara zu stürzen. Dabei kam Abiys Armeestabschef ums Leben. Der politische Frühling und das stetige Wirtschaftswachstum werden in Afrikas zweitgrößter Nation von ethnischen Konflikten zurückgeworfen. Nach UN-Angaben wurden vergangenes Jahr mindestens 1,5 Millionen Äthiopier neu vertrieben, der Großteil davon im eigenen Land. Damit hat Äthiopien von allen Staaten weltweit die höchste Zahl an Binnenvertriebenen.
Immer wieder kritisierten Menschenrechtler Abiys Regierung für eine fehlende Unterstützung der Geflohenen. Zudem sollen die Behörden Binnenvertriebene gewaltsam zur Rückkehr gezwungen haben – das wiederum habe erneute Flüchtlingsströme ausgelöst. Von der Organisation Refugees International hieß es dazu: „Es ist ironisch, dass Äthiopien von der ganzen Welt für seine zunehmend progressiven Flüchtlingsgesetze gelobt wird, während es seine eigenen Vertriebenen auf schreckliche Art und Weise behandelt.“