Christen und Muslime leben seit Jahrhunderten beieinander
Doch die Christen blieben nicht lange allein: Noch zu Lebzeiten des Propheten Mohammed (570-632 n. Chr.) kamen Muslime ins Land, die aus Mekka vertrieben worden waren. Der damalige König gewährte ihnen Unterschlupf. In den nächsten Jahrhunderten breitete sich der Islam in der Region aus, bis Äthiopien ausschließlich von muslimischen Ländern umgeben war.
Im Zusammenleben gab und gibt es immer wieder auch Konflikte: So entbrannte etwa im 16. Jahrhundert ein Krieg zwischen Muslimen und Christen. Am Ende setzten sich die Christen zwar durch, doch das Verhältnis zwischen den Religionen war dauerhaft zerrüttet. Seit dieser Zeit herrscht zum Teil bis heute Misstrauen. Außerdem fühlten sich die Muslime durch die enge Verbindung der orthodoxen Kirche mit dem Kaisertum lange Zeit marginalisiert. Nicht zuletzt deshalb engagierten sich viele Muslime am Putsch, der 1974 nach der weltweit wahrgenommenen Hungersnot zur Absetzung und schließlich zur Ermordung von Kaiser Haile Selassi führte. Die anschließende sozialistische Militärdiktatur unter dem Militärrat „Derg“ schaffte die Staatskirche ab und gewährte offiziell Religionsfreiheit.
Heute stellen die Mitglieder der orthodoxen Kirche die größte Glaubensgemeinschaft Äthiopiens, sie machen einen Bevölkerungsanteil von über 43 Prozent (2017) aus. Mit etwas Abstand folgen die sunnitischen Muslime (knapp 34 Prozent), Protestanten (gut 19 Prozent), Anhänger traditioneller Religionen und ein verschwindend kleiner Anteil Katholiken. Das Land ist föderal organisiert und die regionale Gliederung richtet sich nach den verschiedenen Bevölkerungsgruppen und deren Religion.
Zwischenfälle zwischen den religiösen Gruppen kommen heute nur noch vereinzelt vor und äußern sich eher in Animositäten, zum Beispiel über Streitigkeiten beim Bau neuer Gotteshäuser. Zur Koordination und zum Austausch zwischen den Gemeinschaften wurde ein „Rat der Religionen“ begründet. Dessen Einfluss ist zwar begrenzt, Beobachter sehen aber bei allen Glaubensgemeinschaften eine Bereitschaft zur Toleranz. Der Missio-Länderbericht hält deshalb fest: „Insgesamt ist die große Bevölkerungsmehrheit aber auf ein friedliches Zusammenleben aller Gruppen bedacht.“
Von Christoph Paul Hartmann, katholisch.de
© katholisch.de