Frage: Geht es um globale Patentrezepte, oder muss jedes Land eigene Konzepte liefern?
Ackermann: Globale Patentrezepte gibt es keine. Vielmehr geht es um klare Grundhaltungen und Kriterien. Unsere Haltung muss die einer durchgängigen Opferorientierung sein; wir brauchen verbindliche Regelwerke, deren Umsetzung überprüfbar sein muss. Sicher gilt es, die unterschiedlichen kulturellen Kontexte zu beachten. Diese dürfen aber nicht als Entschuldigung dafür herhalten, im Bereich Kinderschutz wenig oder nichts zu tun.
Frage: Was ist in den vergangenen fünf Monaten seit Vorstellung der Missbrauchsstudie passiert?
Ackermann: Wir haben beschlossen, die Empfehlungen der Forscher als „Marschroute“ zu nehmen. Sie besteht aus zwei Spuren. Wir hinterfragen schon bestehende Maßnahmen: Wie finden Betroffene noch leichter als bisher unabhängige Ansprechpartner? Wie können wir das System der materiellen Anerkennung weiterentwickeln? Die Vereinheitlichung der Personalakten-Führung gehört auch dazu, ebenso der Blick auf Prävention und Intervention und deren ständige Verbesserung.
Aber wir wollen uns nicht nur auf einzelne Maßnahmen zur Aufklärung und Verhinderung von Missbrauch konzentrieren. Wir schauen auch auf übergeordnete Risikokonstellationen, die mit Strukturen und der Kultur der Kirche in Verbindung stehen. Dazu haben wir beim Ständigen Rat im Januar ein Konzept beschlossen und Verantwortliche benannt, die dann auch unter Mitwirkung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken die Fragen von Macht und Partizipation in der Kirche, der priesterlichen Lebensform, der Sexualmoral, Fragen des kirchlichen Rechts, aber auch der Personal- und Finanzverwaltung für ein breiteres Gespräch aufbereiten.
Zudem sind wir seitens der Bischofskonferenz mit dem Unabhängigen Beauftragten für Fragen des Sexuellen Kindesmissbrauchs, Johannes-Wilhelm Rörig, regelmäßig in Kontakt; ich gehe davon aus, dass wir bald die nächsten Schritte konkretisieren. Dazu gehören für mich Kriterien und Standards für die Aufarbeitung, die dann bundesweit Anwendung finden sollten, oder die Überprüfung des Verfahrens für Leistungen in Anerkennung zugefügten Leids. Im Übrigen bin ich der Überzeugung, dass es bei aller Abstimmung miteinander keine Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs für die katholische Kirche in Deutschland insgesamt geben kann: Das muss bistums- oder ordensspezifisch geschehen.