Frage: Welche Rolle spielt der Kirchenkonflikt zwischen Russland und der Ukraine für Ihre Arbeit?
Lenz: Der Kirchenkonflikt wirbelt die Ökumene in der Ukraine und darüber hinaus durcheinander. Gesprächsforen wie der Allukrainische Rat der Kirchen und Religionsgemeinschaften haben es erst mal schwerer, weiterzumachen. Wir Hilfswerke haben uns darauf geeinigt, nicht Position zu beziehen, aber darauf zu achten, dass unsere Projekte zu Dialog und Verständigung beitragen. Das bedeutet, bei der Förderung von Projektanträgen der orthodoxen Kirchen sowohl die neugegründete autokephale Orthodoxe Kirche der Ukraine als auch die Ukrainische Orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats mit zu berücksichtigen und nach Möglichkeit Projektanträge zu fördern, die die Mitglieder beider Kirchen unterstützen.
Frage: Können die Hilfswerke da auch eine Brückenfunktion übernehmen?
Lenz: Wir können da sicher keine substanzielle Mittlerrolle übernehmen, da es sich um eine innerorthodoxe Angelegenheit handelt. Viele unserer Partner sehen durchaus das Recht auf eine eigene Kirchenstruktur der ukrainischen Orthodoxie. Aber ich denke, wir können Schaden begrenzen, indem wir durch unsere Förderung nicht noch tiefere Gräben und Verwerfungen erzeugen, sondern den Dialog zwischen den Kirchen fördern und dabei das gemeinsam Verbindende und nicht das Trennende in den Vordergrund stellen. Ich würde also davon abraten, die Förderung in der Ukraine auf eine der beiden Kirchen zu beschränken oder Projekte zu unterstützen, die gegen die jeweils andere Kirche gerichtet sind. Die Katholischen Kirchen in der Ukraine, die Römisch-Katholische und die mit Rom unierte Griechisch-Katholische, haben klar Stellung bezogen: Sie sind für eine Selbstbestimmung der orthodoxen Kirche in der Ukraine.
Frage: Betrübt es Sie, dass die orthodoxen Kirchen in der Ukraine nun von dem politischen Konflikt erfasst wurden?
Lenz: In der Orthodoxie – sei sie nun ukrainisch oder russisch – gibt es von Grund auf ein anderes Verhältnis zur Politik. Das Zusammendenken von geistlicher und weltlicher Macht ist dort deutlich stärker verbreitet als etwa in der Römisch-Katholischen Kirche. Insofern wundert es mich persönlich nicht, dass der politische Konflikt dort angekommen ist. Auf der anderen Seite ist es natürlich unheimlich schmerzhaft mit anzusehen. Was mag es bedeuten für einen orthodoxen Gläubigen in der Ostukraine, wenn er seinen Patriarchen auf einem Foto mit Putin sieht, der diesen Krieg unterstützt? Das sind persönliche Zerreißproben, die eine unglaublich traumatische Wirkung haben können. Es hat Friedensaufrufe der Kirchen gegeben in dem Konflikt, aber es war wohl nicht ausreichend. Darin liegt eine große Tragik und man kann nur hoffen, dass es da wieder einen Weg heraus gibt.
Das Interview führte Claudia Zeisel.
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