Im jüngsten Wahlkampf machten sowohl die sozialdemokratische CHP als auch die nationalistische MHP und die Iyi-Partei Stimmung gegen die Flüchtlinge. Iyi-Kandidatin Aksener posaunte sogar, im Fall eines Wahlsiegs sofort alle Syrer des Landes zu verweisen. Inzwischen ist die türkisch-syrische Grenze fast vollständig mit einer Mauer abgeriegelt.
In der ohnehin stark in säkulare und religiöse Fraktionen gespaltenen Bevölkerung der Türkei fürchten vor allem die kemalistisch geprägten Bürger, die Neuankömmlinge könnten zu einer weiteren Islamisierung der Gesellschaft beitragen. Die Sorge ist nicht unbegründet. Gesicherte Zahlen, wie viele Syrer bei der jüngsten Wahl abstimmen durften, gibt es zwar nicht. Klar aber ist, dass die überwiegende Mehrheit von ihnen Erdogans AKP wählt, Kopftuch trägt und einen konservativ-islamischen Lebensstil vertritt.
Leiterin Zeynep Eksim meint, es gebe hier wenige Probleme, weil Sultanbeyli ein konservativer Stadtteil sei. In den säkular geprägten Vierteln Istanbuls sei das Zusammenleben mit den strenggläubigen Muslimen nicht so einfach.
Auch im europäischen Teil Istanbuls bleiben die Syrer meist unter sich oder in der Nähe der konservativen Türken. Die Gegend um Aksaray im Stadtteil Fatih ähnelte vor dem Flüchtlingsdeal vom April 2016 einem gigantischen Reisebüro. Syrische Familien trafen hier am Abend auf Schlepper, die sie in der Früh zur Küste fuhren. In den Seitenstraßen verkauften Händler Schwimmwesten an die Flüchtlinge. Das gibt es heute nicht mehr. Stattdessen haben zahlreiche syrische Geschäfte und Restaurants eröffnet. „Klein-Damaskus“ nennen manche Türken den Stadtteil.
Einer dieser Syrer ist Asis. Der weißhaarige Mann hatte 40 Jahre in Aleppo ein Restaurant betrieben. 2013 verließ er seine Heimat und floh nach Istanbul. Sein neues Lokal hier hat fast ausschließlich syrische Gäste. Männer sitzen meist von Frauen und Kindern getrennt; Alkohol gibt es nicht. Zwei seiner Söhne, erzählt Asis, haben sich 2015 über die Balkanroute auf den Weg nach Europa gemacht. Einer lebt heute in Kopenhagen, der andere in Berlin. Doch die Balkanroute ist nun geschlossen, und der EU-Flüchtlingsdeal mit Erdogan gilt. Trotzdem werden immer wieder Syrer versuchen, über das Meer weiterzuziehen, nach Europa.