Solwodi versucht diesen Frauen mit der christlichen Religiosität eine Alternative aufzuzeigen und sie mit Arbeit und Bildung auch geistig aus dem Teufelskreis herauszuholen. Wichtig sei, dass sie in den Schutzhäusern nicht nur herumsäßen und über ihr Schicksal grübelten, sondern man müsse sie in Fortbildungen bringen, in Sprachkurse. „Sie müssen Ziele vor sich haben“, betont Ackermann. Die Mühlen der Bürokratie mahlen aber oft zu langsam. „Eine Frau sagte mir: Schwester Lea, ich werde hier verrückt, ich esse, schlafe, esse, schlafe. Sonst sitze ich immer nur herum.“
Der Worst Case aber ist eine Abschiebung entweder zurück in ihre Heimat oder in das Erstkontaktland in Europa; in den meisten Fällen also Italien. Dort gibt es kaum Schutz für die Frauen, sodass sie wieder in die Prostitution gezwungen werden. Deshalb fordert Solwodi eine Aussetzung des Dublin-Verfahrens, wenn nachgewiesen sei, dass die Frauen Betroffene von Menschenhandel, von Zwangsprostitution, Beschneidung, und anderen Verbrechen seien.
Forderung nach besserem Schutz für weibliche Asylbewerberinnen
Außerdem setzt sich Solwodi für geschlechtsspezifische Asylgründe ein. „Wenn ein Mann sagt, er wird in seiner Heimat als Soldat in den Krieg eingezogen, kann er hier bei uns Asyl bekommen. Wenn eine Frau sagt, sie sei weggelaufen aus einer Gewaltehe, wenn sie zurückgehe, werde sie vielleicht umgebracht, dann hat sie keine Garantie auf Schutz“, so Ackermann.
Ferner macht sich Schwester Lea mit ihrem Verein für ein Sex-Kauf-Verbot stark, wie es das bereits in Schweden gibt. Dabei würden nicht die Frauen kriminalisiert, sondern es sei den Freiern verboten, sexuelle Dienstleistungen zu kaufen. „Denn es gilt ja bekanntlich: Ohne Käufer kein Markt!“, sagt Ackermann – dieses Mal mit sehr klarer Stimme.
Die Opfer des Menschenhandels sind oft noch sehr jung, zwischen 13 und 24 Jahre alt und sie kommen oft aus ärmlichen Verhältnissen, lebten vorher in Slums. Viele von ihnen können weder lesen noch schreiben. Für sie bietet Solwodi Alphabetisierungskurse an, begleitet sie bei Behördengängen, sucht Arbeitsstellen.
Die Aufklärung bereits in Nigeria ist schwierig
Die Aufklärung, um eine Ausreise der Frauen aus ihrer Heimat bereits vor Ort zu verhindern, gestaltet sich hingegen als schwierig. Zwar grassiert der Menschenhandel aus Nigeria schon jahrelang, doch wirklich herumgesprochen hat sich das Thema nicht, denn Prostitution ist ein Tabu. „Für nigerianische Familien ist es eine Katastrophe, wenn eine junge Frau in der Prostitution ist. Sie hat dann keinen Platz mehr im Familienverband. Insofern ist das kein offizielles Thema“, weiß Schwester Annemarie nach ihrer langjährigen Nigeria-Erfahrung. Das gleiche Problem sei auch in Bezug auf HIV und AIDS zu beobachten. „Da gibt es überall riesige Plakate, dass die Leute wissen sollten, wie es um sie steht, aber gleichzeitig wird nicht offen darüber gesprochen.“ Hinzu kommt das Problem, dass Frauen nach Einschätzung von Schwester Annemarie in der Gesellschaft Nigerias eine untergeordnete Rolle spielen. Wenn in einer Familie das Geld knapp wird, nehmen die Eltern als erstes ein Mädchen aus der Schule. „Es ist auch nicht so schlimm, wenn ein Mädchen keine Berufsausbildung macht, weil sie ohnehin heiratet“, so Pitzl.
Armut – die Wurzel des Problems
Die Wurzel des Problems der Ausbeutung der Frauen liegt nach Schwester Pitzl aber in der Armut und den Unrechtsstrukturen des Landes. Trotz großen Ölreichtums lebt ein Großteil der Bevölkerung Nigerias in Armut. Ausbeutung beginnt da manchmal schon in der eigenen Familie. „Ich habe Familien besucht, in denen ein reicher Verwandter eine riesige Villa auf sein Grundstück setzte, während seine armen Verwandten als Diener – oder eher als Sklaven – in an die Grundstücksmauer geklebten Hütten lebten. Der reiche Verwandte hat nichts zur Verbesserung ihrer Situation unternommen. Da haben die reichen Nigerianer viel von den früheren europäischen Kolonialherren übernommen.“
Von Claudia Zeisel
Veranstaltungstipp: Renovabis-Tagung zum Thema Frauenhandel am 17. Oktober 2017 in der Hanns Seidel Stiftung München.
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